Jil Sander: zwei Lager

Discussion, Baby! An kaum einer Kollektion scheiden sich die Expertengeister mehr: Jil Sander. Die Show sahen wir gestern Nachmittag in Mailand. Fehlt da nun ein großer Designerkopf (als Designer wird das Designteam genannt, das sich nach der Show nicht gezeigt hat) oder ist die Kollektion vielleicht sogar eine verdammt gute Jil Sander-Kollektion, vielleicht sogar eine der besten?
Beim Abendessen der deutschen Modechefs und -kritiker im Da Ilia gestern Abend formten sich zwei Lager. Jennifer Wiebking (FAZ) findet die Entwürfe schön, aber nicht ausgereift, Dirk van Versendaal (Stern) gibt ihr Recht, was die Schnitte angeht. Julia Werner (Süddeutsche) findet die Kollektion wunderschön (sie mag nur große Mode!) und stuft sie zudem als "tragbar" ein; weiß aber auch zu berichten, dass Annette Weber (InStyle) die Outfits für schwer verkäuflich hält. Jennifer Dixon (Modechefin, InStyle) gesellt sich zum Pro-Lager und findet es einfach nur lustig, wie die Diskussion langsam an Fahrt gewinnt (Jennifer W. und Dirk werden sich gerade immer einiger, ich halte dagegen). Tillmann Prüfer (Die Zeit) kommt zu spät, gesellt sich zu den Kollektionsanhängern.
Zeitweise haben wir allerdings Angst, ihn an die treuen Gefolgsleute der großen Designerin zu verlieren. Wie viel Jil Sander steckt eigentlich noch in der Kollektion? Währenddessen stellt Isabelle Braun (Elle.de) ihre Lobeshymne auf die Kollektion schon einmal live und schreibt unter anderem: "Nun könnte man erwarten, dass sich das kreative Team ohne Führung in der Kollektionsentwicklung verliert. Doch das Gegenteil war der Fall: Das Design-Team besann sich auf die DNA des Hauses und zeigte eine großartige Kollektion. Akkurat geschnittene Anzüge aus festen Materialien, Etuikleider und maskuline Silhouetten, unterbrochen von frischen Tönen in Pastell-Nuancen." Und sie zitiert Linda Fargo (Bergdorf Goodman), die von DER Jacke, DEM Mantel und DER Hose des Hauses spricht. Hier geht es zum ganzen Artikel >>>
Unten geht die Diskussion weiter...
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Hätte Jil Sander dieses Blumenmuster gewählt? Passt es in die Kollektionsaussage? Die Meinungen gingen auch dazu auseinander...
Die Drapagen seien nicht zu Ende gedacht, merkt Dirk an und das Wort "Wülste" fällt. Ich erinnere an die Seidenstretchkleider von Talbot Runhof, die sich dank drapiertem Stoff über dem Bauchbereich hervorragend verkaufen. Ich finde es erstaunlich, wie gut es das Designteam geschafft hat, mit den Wollqualitäten (darunter Double Face Kaschmir und Alpaca) eine Formensprache zu entwickeln und dabei den Körper nah umfließen zu lassen. Nein, die Kollektion ist nicht einfach nur zaghaft, um dem nächsten Chefdesigner den Weg zu ebnen, sie hat ihre Relevanz und meinetwegen darf es so weitergehen. Hat Rat Simmons damals der Marke wirklich gut getan? Hat er neue Kunden gebracht und die alten halten können? Nein. Ich liebe die Mäntel und Jacken des Designteams, die auf der Taille aufsitzen! Bei den Anzügen sind sich alle einig: gelungen. Wobei Sabine Nedelchev, Chefredakteurin der Elle, ganz richtig anmerkt, dass die Schultern unter Jil Sander anders, besser sitzen würden. Doch sind die überschnittenen Schultern nicht einfach süß sexy, next winter, so wie bei Prada auch? Für mich sind die Taillenröcke (gerade in der Schnittführung!) das absolute Highlight und sie werden nächsten Herbst in Blütenrosa und Türkis in meinem Kleiderschrank hängen. Ja, ich glaube an die modische Aussage UND die Verkäuflichkeit dieser Kollektion. Und wir alle würden sehr gern wissen, was Jil Sander selbst wohl dazu sagt…
Nachtrag: Bei Missoni weist mich Jennifer Wiebking vor Showbeginn daraufhin, dass WWD genau ihrer Meinung sei. Mir wird bewusst, dass ich auch ein Schwergewicht auf meiner Seite brauche und sehe gegenüber von uns Suzy Menkes allein sitzen. Sie tippt in ihren Laptop und ich wage mich heran. "Excuse me, may I ask you something," setze ich in gebückter Haltung an. Sie blickt kurz hoch, ohne mich dabei anzusehen: "Where are you from?" Ich hole aus, dass ich aus Deutschland käme und wir… "I'm on deadline," unterbricht sie mich und wiederholt es in einem Ton, der ein "Fu** off" nicht weniger abweisend klingen lassen würde. Zurück an meinem Platz macht mir Sabine Nedelchev, Chefredakteurin der deutschen Elle, Mut. Man müsse es wenigstens versucht haben. Auf meine Seite kann ich sie leider auch nicht bringen. Und Suzy Menkes äußert sich auch schriftlich nicht zur Kollektion.
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Fotos: Catwalkpictures(10), Kathrin Bierling/Modepilot(2)
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Kommentare

  • Chael sagt:

    Some great pieces, especially the suits. Im not so sure about the dresses and the silhouette they create. Because they are in danger of looking slipped by accident. Therefore they require careful styling.
  • katha sagt:

    ich zähle mich eindeutig auf der pro-seite. 😉
  • Rose sagt:

    Ich schließe mich Chael an: die Anzüge wie immer bei JS bildschön, die Kleider, naja, diese Drapierte Asymetrische hat man längst über.
  • gjcd sagt:

    Von wem war nochmal diese treffende Beschreibung des typischen Jil-Sander-Gefühls? So in etwa: "DER" Mantel ist beim Hineinschlüpfen immer ein winziges bisschen zu schmal; "DIE" Hose selten bequem genug zum Sitzen; "DIE" Jacke für gerade, tiefe Schulter erdacht?

    Ich liebte die älteren Kollektionen dafür und ich hoffe sehr, dass dieser Schnitt (wieder) zu finden ist.


  • Ines sagt:

    Ich liebe die Kollektion und wenn ich das Geld dazu hätte würde ich sie mir komplett kaufen und Tag und Nacht nichts mehr anderes tragen. Ich finde alles durchweg tragbar und die Kleider an den Models sehen nicht wie Karneval aus, was man von so manch anderem Designer nicht sagen kann.