Mein Fashion Moment auf der Berlin Fashion Week
Als einen "Fashion Moment" bezeichnet man die kaum nachvollziehbare Situation, wenn einem aufgrund eines Textils die Tränen in die Augen schießen. Das kennt man sonst nur von besonders rührenden Momenten, die mit Menschen, Kleinkindern und Hundebabys in Verbindung stehen. Auf einer Fashion Week befindet man sich aber unter Gleichgesinnten, die derlei Begeisterungsfähigkeit kennen und nachempfinden können.
Diese Momente kommen völlig unerwartet, vor allem in Berlin.
Ich saß gerade bei der Fashion Show "Designer for Tomorrow" von Peek & Cloppenburg, bei der wieder fünf neue Designhoffnungen vorgestellt wurden – dieses Mal unter der Schirmherrschaft von Modedesigner Zac Posen. Der New Yorker nahm schräg gegenüber von mir Platz und ich beobachtete den grazilen Mann mit wachsender Begeisterung: Er saß gerade wie eine Balletttänzerin, also völlig unangestrengt, mit Würde und Haltung, wie man sie leider nur noch selten sieht. Posen beobachtete jeden an ihm vorbei laufenden Look aufmerksam, wohlwollend und hoch konzentriert – auch das wirkt unangestrengt bei ihm. Selbst, wenn die Aufmerksamkeit aus Pflichtbewusstsein entstand, zeugt sie von Disziplin und Hingabe. Es ist fast schade, dass derlei Gesten als bemerkenswert erscheinen. Umso mehr freute ich mich über seine elegante Erscheinung im Zelt am Brandenburger Tor.
Mareike Massing trieb mir die Tränen in die Augen
Angesteckt von so viel Leidenschaft der Mode gegenüber, verfolgte ich die Entwürfe der Jungdesigner. Bei der zweiten Finalisten-Kollektion, die von der 30-jährigen Berlinerin Mareike Massing stammte, sah ich ein weißes, langes Kleid, eher eine Kutte. Nichts Spektakuläres sollte man meinen. Ich blickte auf das näher kommende Gewand, erkannte in dem Leinwandgewebe ein Muster, das durch das Weglassen der Kettfäden entstanden ist: ein dezentes Karomuster, an den Ärmeln und am Saum waren Fransen zu erkennen und ein schwarzes Band markierte eine niedrig und lose sitzende Taille. Wie kann eine Kutte derartig feinsinnig und raffiniert aussehen, dachte ich mir, als das Model vorbeilief. Meine Brust bebte, ich konnte es mir nicht erklären, ignorierte es. Als ich dem Entwurf Richtung Laufstegende hinterher sah, traten mir Tränen in die Augen. Das gibt es doch nicht! Ich weinte wegen dieses Kleides, mein Fashion Moment in Berlin...
Massing gewann den "Designer for Tomorrow"-Award später und bekam diesen von Zac Posen überreicht. Das bedeutet, dass wir im Herbst 2016 etwas von ihr bei Peek & Cloppenburg kaufen können. Doch bevor die Gewinnerin ermittelt werden konnte, erlebte ich bei diesem Event noch etwas Schönes...
Oksana Anilionyte
Die Nachwuchsdesignerin Oksana Anilionyte aus London zeigte eine Kollektion namens "Fluidity of Lines". Ihre Inspirationen dafür stammen aus Filmen von Michelangelo Antonioni, von Daniel Archam Skulpturen und von Dale Frank Gemälden. Für mich sind ihre Entwürfe die einzig denkbare Fortführung des Dschungelblattmotivs, das aktuell im Interieur- und Modedesign allgegenwärtig ist. Das liegt vielleicht an dem Grünton, den sie für Kleider und Blusen verwendet: satt und tropisch. Aber auch an dem Stilelement, die Stoffe der Vorder- und Hinterseite über die Naht hinaus zu verlängern und in organischen Formen fallen zu lassen. Die grüne Seidenbluse vereint für mich zwei wesentliche Dinge: Neues Design und Tragbarkeit – etwas, worauf es in der Mode ankommt und das mir, beispielsweise bei der in Berlin viel gefeierten Designerin Marina Hoermanseder komplett fehlt.
Jedenfalls habe ich Anilionyte nun einmal kontaktiert, um zu erfahren, ob ich ihr so eine Bluse abkaufen kann. Und das ist auch ein Fashion Moment.
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Photo Credit: Getty Images für Peek & Cloppenburg und Fashion ID
Kommentare
Die Beschreibung ist so toll, ich habe fast das Gefühl, dabei gewesen zu sein. Auch wenn ich noch nie auf einer Schau war.
Liebste Grüße
Kali von Miss Bellis Perennis
Thanks for finally writing about >Fashion Moment in Berlin -
Modepilot.de <Loved it!