Herrenmode 2019 – Mit Einkäufern unterwegs
Als Modejournalistin würde ich mit einem Shop bankrott gehen. Was neu ist und unter Modeprofis beliebt, ist noch lange kein Bestseller. Das gilt für die Herrenmode erst recht. Auf der weltweit führenden Herrenmodenmesse in Florenz, der Pitti Uomo, bin ich also das erste Mal mit Einkäufern unterwegs: an einem Tag mit Uwe Maier vom Designer Store Bungalow in Stuttgart. Am nächsten Tag begleite ich Charly Diehl von Diehl & Diehl in Frankfurt, der seit 40 Jahren weniger auf Marken als auf traditionelle Handwerkstechniken setzt.
Ich versuche beide auf den vorherrschenden Trend aufmerksam zu machen: Breitcord. Denn ich würde auf eine weite Breitcord-Hochwasserhose für Herbst/Winter 2019 setzen. Auf der Messe sehe ich sie überall: gut angezogene Besucher tragen sie zu rahmengenähten Workwear Boots à la Red Wing, wie den ‛Classic Moc’. Bei Brunello Cucinelli hängen sie in Schneeweiß und samtweich. In Neongrün mit schmalem Beinabschluss, gekrempelt oder mit Gummizug sehe ich sie an Hipsters. Das sieht alles sehr zeitgemäß und nachahmenswert aus.
Mit Uwe Maier und Charly Diehl auf der Pitti
Aber Uwe Maier von einem der coolsten Designershops Deutschlands, Bungalow in Stuttgart, greift bei diesem Modell nicht zu. Das kaufe keiner. Auch Charly Diehl von Diehl & Diehl aus Frankfurt sagt, dass er Breitcord in seinem Geschäft nicht verkaufen kann. Er kann seine Kunden – vor allem Banker und Anwälte – für handgenähte Hemden aus Neapel und siebenfach gefaltete Krawatten begeistern, aber nicht für Unkonventionelles. Ich rufe meinen 13-Jährigen Neffen in Berlin an und frage ihn, was er von meiner Hose der Saison hält. Er: „Da bin ich raus”. Ich gebe mich geschlagen und lerne:
Was auf der Messe zum mutigen Kombinieren beflügelt, findet in der Heimat keinen Absatz.
Am ersten Tag der Messe wird daher auch nicht geordert. Denn für Einkäufer gilt, wie für uns Freizeitshopper: Über die ersten Kaufimpulse besser erst einmal schlafen.
Gemütlich in die neue Saison starten
Auf der Pitti lässt man sich inspirieren und tauscht sich mit Kollegen und Geschäftspartnern aus. Sowohl mit den Württembergern, als auch mit dem Herren aus Hessen verbringe ich die meiste Zeit mit Bummeln und Quatschen. Dabei erledigt sich meine Recherche fast von selbst. Oder wie es Gordon Giers, Geschäftsführer von Closed, den wir 'einfach nur so' besuchen, kommentiert: „Machst es Dir halt einfach.” Maier führt Closed nicht mehr in seinem Geschäft, seitdem um die Ecke ein Closed-Laden aufgemacht hat, aber man sei ja befreundet. Giers verweist auf gute Erfahrungen in anderen Städten, wo sich das Geschäft gegenseitig befruchten konnte, und der Abverkauf auf beiden Seiten stieg. Maier hält dagegen: „Für eine Closed-Hose geht man jetzt direkt zu Euch”. Giers nickt. Dann lernen wir etwas über die alternative Jeanswaschung mit Ozon, die ohne Chemikalien auskommt, und immens Wasser und Energie einspart.
Nachhaltigkeit
Interessieren sich Kunden in Stuttgart und Frankfurt zunehmend für nachhaltige Produkte?
Der Anteil nachfragender Kunden sei immer noch so gering, dass man dafür nicht extra einkaufen müsse. Maier und Diehl sehen die Verantwortung aber bei sich selbst. Was lässt sich dem Kunden mit gutem Gewissen weiterreichen? Diehl besucht die Handwerksbetriebe in Neapel, um sicherzugehen, dass dort so produziert wird, wie man sich das vorstellt.
Maier ordert – neben Tom Ford, Zegna und Prada – auch bei seinen Freunden von Aeance aus München. Deren Hightech-Bürobekleidung, mit der man Joggen gehen könnte, wird mittlerweile zu 96 Prozent biologisch und/oder aus recycelten Materialien hergestellt. Der Damenrock ist sogar biologisch abbaubar.
Eine modisch zu klein wirkende Wollmütze eines anderen nachhaltigen Labels aus Deutschland schafft es nicht in das Sortiment von Bungalow. Maier hatte sie vorab schon zur Probe getragen und sagt zum Hersteller: „Die kratzt. Tut mir Leid, aber meine Kunden sind da wie ich.”
Wann wird was geordert?
Die Messe in Florenz ist noch die Ruhe vor dem Sturm. Erst danach, in Mailand und Paris, steht die aufreibende Budgetverteilung an: Wie viel Geld kann man in welche Kollektion stecken, um am Ende alles zu haben, was der Kunde in der Saison 2019/20 wünscht. Auf der Pitti werden zuvor allenfalls Hemden, ein paar Hüte fürs Schaufenster oder schicke Waschbeutel von Mismo aus Kopenhagen „geschrieben”.
Diehl nimmt pro Saison eine neue, jüngere Kollektion in sein Sortiment mit auf. Die wird sich garantiert nicht verkaufen. Das weiß er jetzt schon, aber auch das gehört zum Kalkül. Haver Sack aus Japan ist so eine Marke: super lässig geschnittene Wollblazer mit nur einem Knopf und überdimensioniertem Karo-Muster. Die Teile sitzen perfekt und auf der Pitti würde sie wohl jeder gern tragen. Aber in Frankfurt dienen sie mehr der Unterhaltung: Dem Kunden dort taugt die jung gebliebene Einstellung ihres erfahrenen Ausstatters. Er trägt aber lieber Altbewährtes.
Vier Saisons dauert es in der Regel, bis sich ein Kunde an eine neue Marke oder einen neuen Schnitt gewöhnt hat. Wenn das Neue dann endlich greift, bleibt der Deutsche aber auch länger dran als andere. Das gilt für Männer wie für Frauen. Jeanshersteller berichten, dass sie ihre Damen Slim Fit Jeans an deutsche Geschäfte noch verkaufen können, wenn sie kein anderes Land mehr haben möchte.
Kontrastprogramm
Beide Einkäufer nehmen mich mit in Hallen, die ein komplett anderes Klientel ansprechen. Das sind Hallen, in denen die heiße Nadel und viel Dekoration die Kleidung bestimmen. Das Licht ist grell, flackernd, die Musik laut, und wir sehen eine Marke, die sich 'Comme des Fuckdown' nennt.
Es sei wichtig zu beobachten, erklären mir beide, wohin sich andere Segmente entwickeln. Man müsse darüber informiert bleiben – auch, um sich gegebenenfalls bewusst davon abzugrenzen. Diehl war fasziniert, als er das erste Mal bei Massimo Dutti in der Innenstadt war. Wie wenig so ein klassischer Look kosten kann! Für ihn stand daraufhin fest, dass er jetzt erst recht auf jede weitere Naht achten muss, die eine bessere Passform garantiert und, die man nicht billig nachahmen kann.
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Photo Credit: Catwalkpictures, Closed, Modepilot
Kommentare
Nachhaltigkeit in der Mode ist ein wichtiges Thema. Vielleicht wird es im Laufe des Jahres ja noch zum Trend.
Viele Grüße
Fabian von HoseOnline.de