Was bedeutet der Brexit für die Mode?
Ein ungeordneter Austritt Großbritanniens aus der EU ist – mit Boris Johnson als Premierminister – wahrscheinlich geworden. Wenn es nach dem Hardliner geht, verlässt der Inselstaat die Europäische Union am 31. Oktober 2019 – ganz egal, ob eine Einigung mit den anderen EU-Mitgliedsstaaten gefunden wurde oder nicht.
Der Brexit und die Mode
Was ein Brexit oder gar No-Deal-Brexit für den Fußball, die Autoindustrie, Banken und Dosenbohnen bedeuten könnte, wird in der Tagespresse skizziert. Doch was ist eigentlich mit der nicht zu unterschätzenden Modeindustrie? Import und Export von Bekleidung zwischen Deutschland und Großbritannien machen immerhin einen größeren Anteil aus als das Geschäft mit Getränken oder Erzeugnissen aus der Landwirtschaft zwischen beiden Ländern.
Muss ich in Zukunft mein Net-a-porter-Päckchen beim Zoll abholen?
Ein deutscher Designer, der ungenannt bleiben möchte, verrät mir, dass er die Existenz seiner Marke durch den Brexit bedroht sehe: Net-a-porter, Harrod's und Harvey Nichols seien große Abnehmer. Doch aktuell wisse er nicht, wie viel er bis zum 31. Oktober von der neuen Kollektion ausliefern könne. Alles, was bis dahin nicht produziert und versendet werden konnte, wird auch nicht mehr produziert, sagt er. „Ich habe keine Lust, dass unsere Ware wochenlang im Zoll festhängt, weil dort keiner weiß, wie es weiter geht.” Ein Umzug des Net-a-porter-Lagers würde ihm gefallen.
Laut der Vertriebschefin einer großen Modemarke aus Italien, ist das schon im Gange. Sie sagt mir: „Mr Porter (der Herren-Onlineshop des Versenders, Anm. d. Red.) hat sein Lager bereits in Italien und das von Net-a-porter soll auch einen Standort auf dem europäischen Festland bekommen.” vom Luxusmoden-Onlineversender mit Hauptsitz in London bekomme ich dazu keine Auskunft und werde bis zum Erscheinen dieses Artikels immer wieder vertröstet. Ich sei mit dem Thema zu früh dran. Von anderer Stelle erfahre ich, dass Mitarbeiter seit der Übernahme des Unternehmens im März 2015 durch die italienische YOOX-Gruppe Angebote bekamen, nach Italien umzuziehen. Eine Push-Nachricht auf mein Handy wirbt mit minus 80 Prozent plus weiteren 20 Prozent auf die Designerware des Onlineshops.
Prepare for the worst, hope for the best
Tom Meggle, bis letztes Jahr noch Geschäftsführer bei Louis Vuitton, berät in London Mode- und Luxusunternehmen und leitet den Luxury Club wie auch den London Luxury Think Tank. Der erfahrene Manager sagt: „Einige Modehersteller prüfen, inwiefern Sie europäische Belieferer mit lokalen, britischen austauschen können, zumeist aber nur mit begrenztem Erfolg mangels der höheren Produktionskosten im Vergleich zu Portugal, Spanien, Italien.“
Die Modebranche ist gegen einen Brexit
Meggle sieht auch sonst keine Vorteile für die Branche, nur Nachteile: „Fast die gesamte Modebranche ist seit dem Referendum eindeutig pro Remain. Der British Fashion Council führt seit drei Jahren eine Kampagne der Präventivplanung mit der Regierung zur Wahrung der Interessen der Modebranche und der Sicherung des Standorts London, speziell berühmt für seine neuen Talente. Das größte Bedenken liegt neben dem Verlust der Subventionen aus Brüssel für die Nachwuchsförderung in der Modebranche im Mangel an internationalen, europäischen Experten und Fachkräften."
Für die in London ansässige Goldschmiede-Meisterin Sabine Römer und ihre Zweitlinie 'Atelier Romy' ist Deutschland der viertwichtigste Markt nach UK, USA und Australien. Sie ist gespannt, welche Abkommen es mit den verschiedenen EU-Ländern geben wird: „Je nach Land müssen wir uns dann erkundigen und unseren Prozess anpassen. Anscheinend verstehen sich Boris Johnson und Donald Trump gut. Somit wird es spannend, ob das Geschäft mit den USA viellleicht sogar einfacher wird”, sagt Römer.
Eine Brexit-Befürworterin ist die Deutsche deshalb aber nicht. Seitdem sich das britische Volk im Juni 2016 für den Brexit entschied, beobachtet die Wahl-Londonerin, „dass es der Wirtschaft hier zunehmend schlechter geht. Der Pfund und Hauspreise sinken, Geschäfte schließen.”
Deutschland, der Exportweltmeister, ist auch für Großbritannien weniger Abnehmer als Zulieferer. Wir versenden zweimal mehr Waren auf die Insel als von dort zu uns kommen. Das gilt auch für Bekleidung!
Korkbett-Sandale schlägt Trenchcoat?
Bei Birkenstock und Hugo Boss laufen die Vorbereitungen auf Hochtouren. Eine detaillierte Antwort kann man mir beim Sandalenhersteller aktuell wegen eines „hohen Brexit-bedingten Workloads bei den britischen Kollegen” nicht geben. Aber bei Hugo Boss hat man bereits durchgespielt, was man unternehmen muss, damit der Anzug in Großbritannien weiterhin so viel kostet wie in Deutschland – Es ist eine Firmen Policy, dass der Preis weltweit der gleiche bleibt.
Für Hugo Boss ist Großbritannien nach Deutschland und den USA der drittstärkste Markt. Der Umsatz beträgt auf der Insel jährlich über 300 Millionen Euro. Eine Unternehmenssprecherin des Anzugmachers sagte der Stuttgarter Zeitung: „Wir haben für den Extremfall eines ungeordneten Brexits verschiedenste Szenarien durchgespielt und entsprechende Vorbereitungen getroffen, allen voran unter dem Gesichtspunkt logistischer Prozesse, um so die Warenversorgung zu gewährleisten.“
Bei der guten deutschen Rippenwäsche sieht man möglichen Veränderungen gelassen entgegen. Schiesser-CEO Andreas Lindemann: „Unsere Präsenz in Großbritannien und Irland ist überschaubar. Selbstverständlich haben wir entsprechende Vorbereitungen getroffen. Als international tätiges Unternehmen ist es für uns an der Tagesordnung, Länder außerhalb der EU zu beliefern und mit Veränderungen umzugehen, zumal wir uns für die Zukunft eine stärkere internationale Entwicklung auf die Fahne geschrieben haben.”
Onlineshopping im EU-Ausland
Aber was bedeutet das alles eigentlich für uns Konsumenten? Der Zoll überprüft alles, was außerhalb der EU bestellt wird. Überschreitet der Warenwert 150 Euro, fallen Zollsatz und Einfuhrumsatzsteuer für den Käufer an. Das sind Beträge, die zusätzlich zum Preis im Onlineshop bezahlt werden müssen. Gerade erst lag mir eine Rechnung von FedEx für ein Geschenk vor, das ich online in den USA bestellt hatte. 40,31 Euro sollte ich nun zusätzlich überweisen. Die Summe setzt sich aus 25,43 Euro Einfuhrumsatzsteuer und 12,50 Euro Zollsatz zusammen.
Für Bekleidung liegt die Einfuhrsteuer bei 19 und der Zollsatz bei 12 Prozent. Allerdings hat Bekleidung aus Leder einen anderen Zollsatz, nämlich 8. Schuhe aus einem anderen Material als Leder wieder einen anderen: 16,8 bis 17. Das fast ausverkaufte JW Anderson-Teil, das es nur noch bei Net-a-porter oder Matches gibt? Es könnte kompliziert für uns werden, leichter für Mytheresa.com.
Nachtrag: Die Frankfurter Allgemeine Zeitung schreibt am 3. September 2019 in ihrem Wirtschaftsteil, dass die britische Industrie im August 2019 wegen der Brexit-Krise und schwächerer Weltkonjunktur so stark geschrumpft sei wie seit sieben Jahren nicht mehr.
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Photo Credit: Catwalkpictures
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