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2010er Jahre – Wofür steht das Jahrzeht modisch?
2010er Mode. Es ist ein großer Modejournalistinnen-Sport, sich zu einem Jahrzehntewechsel Gedanken zu machen, was modisch in Erinnerung bleiben wird. Welcher Look hat das Zeug dazu, auch noch in hundert Jahren unverwechselbar für die Zeit zwischen 2010 bis 2019 zu stehen?
2010 bis 2019 – Was war neu und wurde typisch?
Was das Flapperkleid für die Zwanzigerjahre und die Capri-Hose für die Fünzigerjahre des 20. Jahrhunderts ist, könnte die Kombination aus Oversize-Oberteil, weiter 'Cropped Jeans', Tennissocken und Ugly Sneaker für dieses Jahrzehnt werden. Vielleicht finden wir den Look später unter 'Dadcore' in Modelexika. Dazu zählt dann auch die modisch gewordene Jogginghose, die von Karl Lagerfeld 2012 bei Lanz noch verpönt wurde. Doch damals trugen Vorreiter sie schon zu Blazer und Stilettes und heizten den Athleisure-Trend erst so richtig an. Zwei Jahre später schickte Lagerfeld das bequeme Beinkleid dann selbst als Eröffnungslook für Chanel über den Laufsteg – sogar in Rosa und mit Löchern, die nach Mottenfraß aussahen. Seither kann man im Trainingsanzug auch in Luxusboutiquen gehen und für eine 'rich bitch' gehalten werden. Die „Verrohung der Gesellschaft” macht natürlich auch nicht vor der Mode halt.
2010er Mode – sich mit einem Jogginganzug in Schale werfen
Ich musste gerade erst wieder daran denken, als ich die „Heroes“-Folge mit Comedian Enissa Amani in der ZDF-Mediathek sah. Da hat sich die deutsche Stand-upperin (Don't call her „Komikerin”!) für den Dreh extra rausgeputzt: eine pinkfarbene Jogginghose mit dazu gehörigem Bandeau-Top. Im Kardashian-Zeitalter trägt man das Ensemble zu möglichst viel Rundungen. Dafür trainiert man sich einen großen Po mühsam mit Squats im Fitnessstudio an. Denn eine Kate Moss-Figur findet nur sexy, wer auch noch 'Sex and the City' gut findet.
Auch das bestimmt die Mode: Das Schönheitsideal. Um kurvig auszusehen, tragen Bohnenstangen hoch sitzende Karotten- und Bundfaltenhosen. Dazu ein extra kurzes Top. Silhouette, Schuhe und Körperhaltung sind Hip Hop und nicht Rock 'n' Roll. In den 2010er Jahren löste die eine Musikrichtung die andere zum ersten Mal ab (Die ZEIT >>>).
Das sorgte auch für eine Wiederbelebung von Logomania. Luxusmarken, selbst dezentere, taten alles, um es ins nächste Hip Hop-Video zu schaffen: Sneaker und Logo-Sweaters gibt es heute auch von Balenciaga, Balmain, Chanel, Dior, Fendi, Louis Vuitton und Valentino. Plastik statt Couture. Die Nachhaltigkeitsbeauftragten sollen es wieder richten.
Ein typischer Look der letzten Jahre, den es vorher so noch nicht gab: einen Rock aus elegantem Stoff, also Seide, Satin oder Pailletten unter einem Oversize-Pullover. Damit gingen viele auch auf den roten Teppich und zu Preisverleihungen, was mir meist besser gefiel als klassische Abendroben.
Blogger & Influencer: stilprägend?
Auch könnte die Dekade als jene der Blogger und Influencer gelten, zumal es von ihnen das meiste Bildmaterial gibt, auf das man sich später beziehen kann. Schließlich liefen in den 1920er Jahren auch die wenigsten im Fransen-Flapperkleid und Federschmuck auf dem Kopf herum. Aber die glamourösen Abende wurden festgehalten und der Look, der für die neue Unabhängigkeit der Frau stand, machte den Unterschied.
Wenn es die Influencer sind, die die 2010er Mode prägen, dann werden später alle glauben, dass wir grelle Sonnenbrillen auf der Nasenspitze balancierten oder Netzstoff vor der Augenpartie drapierten. Dazu trugen wir, na klar, den Mantel immerzu nur auf den Schultern hängend wie ein Cape, damit das komplette Outfit sichtbar bleibt.
Vielleicht gehen die Zehnerjahre rückblickend aber auch als das Jahrzehnt in die Geschichte ein, in dem Konsumgier und Ausbeutung dafür sorgten, dass wir T-Shirts für 2,99 Euro kauften. Etwas, das in ein paar Jahren vielleicht schon unvorstellbar ist?
Aussicht 2020
Was schwappt rüber ins neue Jahrzehnt? Die erschreckenden Zahlen zum Klimawandel, die Bilder von Plastikinseln im Meer und die Konsequenzen, die der Raubbau an der Natur für uns mit sich bringen – All das macht etwas mit uns, was sich auch auf das auswirken wird, was wir mit unsere Kleidung über uns verraten möchten.
Schönheitsideal, Silhouette: Billie Eilish. Es lässt sich schwer sagen, welche Figur die 2019 erfolgreichste, gerade erst 18 Jahre alt gewordene Singer-Songwriterin eigentlich hat. Denn sie trägt weite Hosen zu noch weiteren Pullis, die oft so lang sind wie ein Kleid. Das kommt gelegen zum Höhepunkt des Optimierungs- und Körperwahns. Und es ist genderneutral. Auch so eine Errungenschaft in der Mode, die erst so richtig Fahrt aufnimmt. Der Hauptgrund aber, warum sich der Stil von Billie Eilish durchsetzen wird, ist die starke Persönlichkeit der jungen Frau. Sie geht mit ihrem Erfolg auf eine Art und Weise um, dass man sich noch sehr viel von ihr erhoffen kann. Und man identifiziert sich mit ihr. Grüne Haarsträhnen? Ja, bitte!
2020 tragen wir auf – oder lassen es zumindest so aussehen
Was man bei Billie Eilish und auch längst bei vielen anderen sieht: ausgefranste, löchrige Strickpullover. Ja, da war Lagerfeld, der dieses Jahr verstorben ist, früh dran. Das Image, was man sich damit überstreift: Ständig neue Klamotten kaufen finde ich uncool. Ich trage lieber alte Sachen auf – der Umwelt und den Menschen zuliebe. Damit zeige ich Verantwortungsbewusstsein, fühle mich zugehörig zu den coolen Meinungsvorbildern wie Greta Thunberg und Modedesigner Virgil Abloh.
Virgil Abloh, Off-White-Gründer und Chefdesigner der Louis Vuitton-Herrenmode: „Streetwear wird 2020 aussterben. [...] Ich glaube, dass sich Mode wegbewegen wird vom Kaufen nagelneu aussehender Dinge. Es wird mehr darum gehen, in den eigenen Archiven zu stöbern.” (Dazed, 17. Dezember 2019)
Ich würde mich freuen, wenn Abloh Recht behalten sollte. Ich befürchte nur, dass das Bedürfnis, sich neue Kleidung leisten zu können, nicht so einfach abebben wird. Allenfalls bei jenen, die auf ein Archiv zurückgreifen können, wie Abloh. Meine Prognose lautet daher, dass der Look nach selbstgestrickt und Vintage aussehen wird, aber in der Masse doch noch für 30 Euro bei Mango gekauft wird. Hoffe, ich irre mich.
Wie seht Ihr es? Bitte kommentiert unten.
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Photo Credit: Catwalkpictures
Kommentare
Auf Löcheriges und Fransiges werde ich vermutlich auch im neuen Jahrzehnt keine Lust haben. Wohl aber auf Nachhaltigkeit. Mein Trend der 2010er sind nämlich eindeutig Flohmärkte und Secondhandläden. Als ich ein Teenie war, hatten die noch einen schlechten Ruf und es galt als peinlich, sich dort auszustatten. Das ist zum Glück inzwischen ganz anders.
Damit verbunden vor allem auch das Finden eines eigenen Signature-Looks. Seit ich den gefunden habe und schon „im Schlaf“ style, ist es umso leichter, den eigenen Look mit Fundstücken vom Flohmarkt zu variieren und weiterzuentwickeln – ohne permanent Billigmode kaufen zu müssen. Das nehme ich mir persönlich mit in die 2020er (zusammen mit meinen heißgeliebten Secondhand-Overknees von Stuart Weitzman, die das Herzstück meines persönlichen Lieblingsstyles bilden.)
Ich selbst will mich noch mehr von schnelllebigen Fast-Fashion-Trends lösen, besonderes kaufen und viel Secondhand. Das klappt seit einigen Jahren schon sehr gut und wird weiter ausgebaut.