Warum wir keine Viskose kaufen dürfen
Vielleicht habt Ihr die eineinhalbstündige Dokumentation auf Arte schon gesehen. Falls nicht: Schaut Euch 'Fast Fashion – die dunkle Welt der Billigmode' bitte unbedingt an. Hier geht es in die Arte-Mediathek zum Video, das noch bis zum 6. Juni 2021 verfügbar ist >>>.
Darin werden nicht nur die psychologischen Prinzipien erklärt, die dafür sorgen, dass wir fast wöchentlich das Sortiment der Billigmodenanbieter studieren. Es ist wie mit Videospielen: Wir werden Opfer von Leuten, die schlauer sind als wir. Und der Preis dafür ist hoch! Damit meine ich nicht einmal den vielen Müll, den wir produzieren. Sondern ich spreche von Kindern, die ihre Arme nicht mehr heben können und auch nicht mehr genügend Muskeln haben, um laufen zu können, weil sie in der Nähe von einem Viskose-Produzenten leben.
Viskose – Warum ist dieser Stoff überhaupt erlaubt?
Wie so oft: Wenn man damit keinen Profit machen kann, werden keine Studien erstellt, z.B. darüber, wie schädlich die Herstellung von Viskose ist. Dabei ist es seit fast 200 Jahren bekannt, dass für die Herstellung von Viskose ein chemischer Prozess notwendig ist, der es in sich hat. Daran hat sich bis heute auch nichts geändert.
Um Holz zu einem Stoff zu verarbeiten, der am Ende als Seiden- und Baumwollersatz dient, muss es mehrfach chemisch behandelt werden. Erst wird es durch ein chemisches Aufschlussverfahren zu Zellstoff. Dieser Chemiezellstoff wird dann mit Natronlauge und Schwefelkohlenstoff (CS2) zersetzt und – und jetzt kommt's – in ein Schwefelsäurebad gelegt! Damit möchte niemand arbeiten müssen. Die Arbeiter in der Arte-Dokumentation berichten von einem Geruch, den man zehn Tage nicht mehr los wird. Und das ist noch das harmloseste daran.
Wenn Zellulose in Kontakt mit Schwefelsäure kommt, tritt Schwefelkohlenstoff aus. Und das in Anwesenheit der Arbeiter. Was das anrichtet, wurde bereits in medizinischen Zeitschriften Mitte der 1850er als 'extrem gefährlich' beschrieben, berichtet der amerikanische Arbeitsmediziner Paul Blanc in der Dokumentation. „Menschen, die dem ausgesetzt waren, wurden nach einigen Tagen oder auch Wochen schwachsinnig,” sagt er. Typische Nebenwirkungen seien auch Sehstörungen, Unfruchtbarkeit und Gefäßschäden im Herzen sowie im Gehirn.
Viskose heute
Gerade in den letzten Jahren wurde Seide immer teuerer auf dem Großmarkt. Daher stieg die Nachfrage nach Kunstseide/Viskose rapide an. Vielleicht habt Ihr im Zuge dessen auch das eine oder andere Oberteil oder Kleid aus diesem Material gekauft. Ich bereute diese Käufe, noch bevor ich von den verheerenden Auswirkungen der Herstellung wusste. Denn diese Blusen sehen einfach nur schäbig aus. Nach ein paar Minuten Tragen haben sie diesen billigen Knitter, der offenbart, dass es sich nicht um Baumwolle oder Seide handelt. Allenfalls im Stillzustand kann Viskose entweder einer Baumwolle oder einer Seide ähnlich sein.
Marre Muijs, die Gründerin von ESSÉN The Label, sagt über Viskose: „Es ist wie mit 'Vegan Leder', bei dem es sich meist schlicht um Plastik handelt: Es ist ein nicht abbaubares Produkt, für das es eine chemische Herstellung braucht und das eine extra Umweltbelastung darstellt.”
Laut der französischen TV-Produktion gibt es nur wenige Unternehmen weltweit, die Viskose herstellen, aber diese tun es dafür im großen Stil. Sie liegen meist in Indien. In Nagda operiert der Birma Konzern mit einer 1956 gebauten Fabrikanlage und 5.000 Mitarbeitern. Und dort, so zeigt es das Video, häufen sich Behinderungen rum um die Produktionsstätte. Ob das mit der Viskose-Herstellung in Verbindung gebracht werden kann, ist schwierig zu klären.
Denn Birla verweigert Studien zu CS2 unter Mitarbeitern, denen zudem verboten wird, schlecht über das Unternehmen zu sprechen. Der ehemalige Chefarzt der staatlichen Klinik in Nagda berichtet, dass Birla-Arbeitern davon abgeraten wurde, ins staatliche Krankenhaus zu gehen. Stattdessen werden Mitarbeiter, vor allem die schweren Fälle im Konzern-eigenen Krankenhaus behandelt.
Auswirkungen heute
Die europäische Stiftung Changing Markets untersucht seit vier Jahren, was Viskose-Herstellung für die Umwelt bedeutet. So ergaben Luftproben aus dem Umland der Birla Fabrikkleinstadt eine CS2-Belastung, die 125 höher über dem Richtwert der Weltgesundheitsorganisation (WHO) lag. Bei einer Untersuchung im Januar 2020 durch die Umweltbehörde des Bundesstaats wird der Geruch von Schwefelkohlenstoff festgestellt. Überall auf dem Gelände. Der Konzern veröffentlicht indes Werbevideos für seine Kunden, in denen das Modewort 'Sustainability' fällt.
In den nördlich gelegenen Dörfern entlang des Flusses Chambal, circa vier Kilometer entfernt, kommt es seit Jahren zu Gesundheitsproblemen. Schlimmer noch: Kinder, die bis zu ihrem sechsten Lebensjahr kerngesund waren und zur Schule gehen konnten, sitzen jetzt mit schwindenden Muskeln im Rollstuhl. Mittlerweile liefert der Konzern zwar täglich Trinkwasser in rund 20 Dörfer, aber am Herstellungsprozess ändert das Unternehmen anscheinend nichts. Ich wünschte, ich hätte nie ein Viskose-Teil gekauft und darüber positiv geschrieben.
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Photo Credit: Catwalkpictures
Kommentare
Hey lieber Jérôme, wie habe ich Dich vermisst! Ja, Lyocell/Tencel gefällt mir auch. Das fällt schön.
Sag, wie geht es Dir?
Ganz liebe Grüße,
Kathrin
Hab mir den Film gestern angeschaut. So lustig, wenn man sich dann das neue Interior Design vom Spanier anschaut. hahaha... schön die grünen Pflanzen und die Holzelemente in die Store-Fläche hauen und schon wird es etwas "grüner" =D
Haha, ja, 'Shopping Cold Turkey' trifft es.
Ich frage mich nach wie vor wie die Dämpfe, die beim Viskose-Herstellungsprozess entstehen, in einem geschlossenen Kreislauf bleiben können, ohne Umwelt und Mensch zu belasten. In der Dokumentation wird erklärt, dass 'Die größte Gefahr von den Dämpfen ausgeht'.
Stella wird auch keinen Zutritt bekommen haben zum kompletten Herstellungsprozess, oder etwa doch?
Herzliche Grüße
Dani