Lasst uns mal über Tommy Ton & Style.com reden
Mit Style.com endet eine Ära. Die Website hat, seit dem Launch vor 15 Jahren, die Modewelt verändert, vielleicht sogar revolutioniert. Zu dieser Zeit hatten die wenigsten Magazine Online-Auftritte, schon gar nicht mit hochwertigen, täglich aktualisierten Inhalten. Print-Redakteure nutzen die Style.com-Bilder als eigenes Archiv, Online-Redakteure spickten bei den spitzfindigen Schauenberichten von Tim Blanks (sogar bis zuletzt veröffentlichten manche deutsche Modeseiten ihre Kritiken erst, wenn die Style.com-Review online war) und ich habe unzählige What’s App-Nachrichten mit dem Inhalt „Yaaaay, schneller als Style.com“ mit ehemaligen Kolleginnen ausgetauscht. Style.com war Recherche-Tool und Messlatte. So wie Haselnusscreme Nutella heißt und Taschentücher „Tempo“, war Style.com ein Synonym für „internationalen Fashion Weeks online verfolgen“. Mittlerweile sind andere Seiten viel schneller, bei Now Fashion laufen die Bilder sogar fast in Echtzeit ein und fast jedes große Magazin berichtet ausführlich über die Schauen. Style.com wird eine E-Commerce-Plattform, die Inhalte und zukünftige Berichterstattung wird von nun an unter VogueRunway gebündelt (Wir berichteten). Tim Blanks wechselte zu Business of fashion und auch Streetstyle-Fotograf Tommy Ton nahm seinen Hut.
Verlassen Sie das sinkende Schiff?
Tommy Ton hat die Seite mit seinen Streetstyle-Bildern geprägt. Als einer der Ersten fotografierte er gut gekleidete Menschen vor und nach den Defilees, auf dem Weg zum nächsten Termin. Das tat er zunächst auf seinem eigenen Blog Jak and Jil (die Url hat er mittlerweile an die Firma Mucca verkauft). 2005 löste er Scott Schuman („The Sartorialist“) als Streetstyle-Chronisten für die Plattformen des Condé Nast Verlags ab: Style.com (Womenswear) und GQ.com (Menswear). Mit zwei langen Unterhosen gegen die Kälte und langer Linse („Das ist nicht so aufdringlich“) fotografierte er Anna, Giovanna , Mira – für ihn blieben sie stehen, lächelten brav in die Kamera. Der 31-Jährige wurde so selbst zur Marke, sitzt neben Topstars der Branche in der Front Row. Er hätte auf sein Erstrecht bestehen können und als Platzhirsch die Nachzöglinge wegschreien können. Hat er aber nicht. Wenn zu viele Fotografen losrannten oder sogar ein Gemenge entstand, drehte er ab und zog sich zurück. Nett, flink, immer bescheiden. Sagt nie „Nein“ zu einem Interview, auch wenn er dann ein bisschen verschreckt wirkte, wie eine Schnecke ohne Haus, wenn man ihn plötzlich zum Mittelpunkt der Berichterstattung macht.
Fast 10 Jahre war das so. Das ist eine lange Zeit, in der Mode eine Ewigkeit. Style.com brauchte ihn, er brauchte Style.com. Doch er – das hat er verstanden – braucht VogueRunway nicht als Plattform. Denn online Schauen durchklicken, Bild für Bild, das machen nur Redakteure, die Reviews schreiben müssen – der großen Mehrheit reicht ein Überblick auf Instagram. Überhaut - professionelle Schauenbilder? Vielleicht schafft es ein Catwalk-Bild in einen Trend-Report. Mittlerweile sind es aber meist Streetstyles, die die Optik eines Artikels bestimmen – in Print und Digital. Mit den Bildern kann sich der Leser besser identifizieren. Das ist nahbarer, echter. Echter? "Vor" – "Zurück" –"Jetzt hüpfen" –"Dreh dich" – "Stell dich vor das gelbe Taxi" . Wer einmal das Streetstyle-Spektakel erlebt hat, weiß: das stimmt natürlich nicht. Aber es sieht so aus, das reicht erstmal.
Vorhang auf für das Unternehmen Tommy Ton
Tommy Ton, das ist nicht mehr nur er. Schon lange hat er eine Assistentin (die zum Beispiel aufgeladene Kamera-Akkus zur Show-Location bringt) und nun auch eine Art kreatives Studio mit seiner eigenen Website Tommyton.com , seit letzter Woche online. Eineinhalb Jahre arbeitet er bereits daran. Das Ergebnis ist bildgewaltig und beeindruckend: Man kann über 15.000 Bilder nicht nur nach Saison, sondern auch nach Geschlecht, Farben, Trends und sogar Produkten filtern. Ein Feature, das man sich bei Style.com gewünscht hätte. Fehlt nur noch der „Foto hier kaufen“-Button für Bildredakteure und das Trendspezial ist fertig. Lizensiert werden die Bilder über das Trunk Archive, eine der bekanntesten Bildagenturen weltweit. Backstage-Reports, Kampagnen-Shootings und Video-Kooperationen mit Marken gibt es bereits.
Zurück zur Unabhängigkeit
Business of fashion gegenüber sagte er, er wolle sich wieder auf seine unabhängige Sicht besinnen. Kein Verlag diktiert im nun mehr Deadlines… und vielleicht noch mehr. Moderedakteure, die seit Jahren in der Branche arbeiten und die Schauen schon lange vor dem Streetstyle-Hype regelmäßig besuchten, bemerkten: „Es ist schon auffällig: er fotografiert fast nur noch Redakteure von Condé Nast“. Vielleicht Zufall, vielleicht Kalkül – es ist jetzt eigentlich egal. Die aktuelle Lieblingswährung von Medien ist "Personal Branding", also Persönlichkeit durch Gesichter zu schaffen. Gesichter wie Tommy Ton oder wie Net-a-Porter Gründerin Natalie Massenet, die sich vergangene Woche offiziell aus dem Unternehmen verabschiedet hat, das schön länger nicht mehr ihres war (wir berichteten). Angeblich arbeitet auch sie bereits an neuen, eigenen Projekten. Zeit für eine neue Ära.
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