Lesetipp: Welt am Sonntag x Jil Sander
„Wir stellen uns auf einen langen Abend ein“, sagt Beat Balzli, stellvertretender Chefredakteur der Welt in die Runde. Er wird Recht behalten: Jil Sander ist Gast-Chefredakteurin bei der Welt am Sonntag und betreibt diese Aufgabe mit der gleichen Ernsthaftigkeit, wie sie ihre Modelinie führte.
Sie knöpft sich jeden Text vor, einen hat sie sogar zur Hälfte selbst geschrieben: „Da müssen wir aber nochmal ran“, sagt sie am Morgen bei der Redaktionskonferenz mit strengem Blick und mildem Ton. Was kaum jemand weiß: Jil Sander hat vor ihrer Karriere als Designerin als Modejournalistin gearbeitet. "Wollen Sie in die Autorenzeile? " „Nein, danke." Jil Sander ist keine öffentliche Person mehr, seit etwa zwei Jahren hat sie sich aus dem Geschäft zurückgezogen. Vielleicht war sie das aber auch noch nie so wirklich, zumindest ist es ihr sichtlich unangenehm im gigantischen News Room vor neugierigen Blicken zu sprechen.
Viel Überredungskunst musste Inga Griese, Chefredakteurin von Icon, der Luxusbeilage der Welt am Sonntag, aber trotzdem nicht leisten: „Ich war im Prinzip zwei Jahre raus und wende mich jetzt sozusagen dem Leben zurück und bin sehr motiviert. Wenn man immer kreativ gearbeitet hat, kann man das auch irgendwie nicht lassen und kniet sich wieder rein. Dieses Projekt steht unter einem glücklichen Stern und ich werde die Entscheidung auch hinterher nicht bereuen.“
Jil Sander hat schwere Zeiten hinter sich. Vergangenes Jahr ist ihre Lebensgefährtin Angelica Mommsen an Krebs verstorben, darum hatte sie 2014 ihr Label Jil Sander verlassen – zum dritten Mal. Rückblick: Die „Queen of less“ wurde mit ihrer minimalistischen Mode international zu einer der einflussreichsten Designerinnen. 1999 verkaufte sie ihr Label mit großen Expansionsplänen an die Prada-Gruppe und räumte ein Jahr später ihren Posten als Vorstandvorsitzende – die Vorstellungen waren zu unterschiedlich. Doch so richtig konnte sie sich nicht trennen, 2003 kehrte sie wieder zurück. Und ging nur ein Jahr später wieder. 2005 übernahm Raf Simons. 2012 wurde Jil Sander erneut kreative Leitung, Raf Simons wechselte zu Dior. 2014 verlässt sie aus persönlichen Gründen das Unternehmen, – unvorstellbar, dass sie sich heutzutage nochmal dem hektischen Modebetrieb bei einer internationalen Luxusmarke aussetzen würde. Und so schließt sich der Kreis zu Raf Simons, der nun auch Dior den Rücken kehrte, um sich auf sein eigenes Label zu konzentrieren. Kurz bevor die Meldung am Donnerstag durch die Presse ging (wir berichteten) fragte ich sie, ob ihr eigentlich bewusst ist, wie prägend Sie für die Mode war (und ist!) und ob es ihr nun unangenehm ist, wieder so viel Aufmerksamkeit zu bekommen. Sie nimmt die Brille ab und strahlt: „Eine Frau erzählte mir neulich, dass sie sogar ihre Tochter nach mir benannt hat. Besonders nach einer Lebensphase, die nicht so glücklich war, und man nicht so belastbar ist, ist es sehr schön zu erleben wie respektvoll und freundlich mir die Welt gegenübertritt.“
Und deswegen gestattet sie uns in der Welt am Sonntag in einem wunderbaren Interview nicht nur einen Einblick in ihre Gedankenwelt, sondern sogar in ihr Hamburger Haus, das von Renzo Mongiardino gestaltet wurde. Eins verrate ich vorweg: Es sieht nicht im Geringsten so aus, wie man es erwarten würde. Sie öffnete ihre Archive, setzte Themenschwerpunkte und sogar der berühmte Schriftzug, ihr Logo, führt gestalterisch durch die gesamte Ausgabe. Für Jil Sander-Anhänger und Mode-Fans wird der morgige Sonntag mit der Zeitung im Bett ein Fest.
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Photo Credit: Martin U. K. Lengemann
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