Jil Sander-Kunden haben ein Zuhause

Lucie und Luke Meier kleiden Jil Sander-Kundinnen jetzt schon seit zwei Jahren ein. Gestern zeigten sie in Mailand ihre vierte Saison, Herbst/Winter 2019. Damit werden die beiden Designer auch die letzte verschollene Jil Sander-Anhängerin zurückgewinnen. Céline-Kundinnen finden hier auch ein neues Zuhause.
Elegant geschnittene Mäntel, super weite Hosen (Jil Sander sagte einst, sie würde Leggings verbieten lassen, wenn sie es könnte) und übergroße Hemden sind so 'in your face' nicht 'in your face'. Die Trägerin eines solchen Looks flüstert: „Mode und guter Geschmack müssen sich nicht ausschließen.” Voll auf der Höhe der Zeit zu sein, das geht auch leise und in Senffarben mit einem gelben Ohrring.
 
Lucie und Luke Meier sind seit elf Jahren verheiratet. Sie wuchs in Zermatt mit österreichischer Mutter und deutschem Vater auf und war zuletzt als Co-Chefdesignerin bei Dior für die Haute Couture und Prêt-à-porter verantwortlich. Er wuchs in Kanada mit schweizerisch-englischen Eltern auf und war acht Jahre lang Kreativdirektor von Supreme. Bei Jil Sander arbeiten sie das erste Mal zusammen. Die Spannungen und Harmonien, die aus männlicher und weiblicher Sichtweise entstehen, oder zwischen hoher Schneiderkunst und Streetwear, sind das beste Rezept für unsere Zeit!
Es gefällt vermutlich auch der heute 75-jährigen Markengründerin (Anfrage läuft). Denn wie männlich oder wie pur darf ein Look heute noch sein, damit die Trägerin möglichst unbemüht à la Sander daherkommt? Wie weibisch sollte er werden? In den letzten 20 Jahren, seit Sanders erstem Rückzug aus dem Unternehmen, hat sich viel getan. Ein Hosenanzug sieht heute schnell angestrengter aus als ein tailliertes, ausgestelltes Blümchenkleid.
1996 sagte Sander in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: „Wer Ladyisches will, searcht nicht bei Jil Sander. Man muß Sinn haben für das effortless, das magic meines Stils.” Das sagte sie im Übrigen wortwörtlich so.

„Effortless” – elegant, aber nicht „ladylike”

Die Designer verstehen sich darauf, dem magischen Jil Sander-Stil gerecht zu werden. Sie geben genug rein, um ihn spannend zu halten, und lassen genug weg, um geschmackvoll zu bleiben.
 
Filzqualitäten, so dick, dass man sie für Sesselbezüge verwenden könnte, bekommen per Wasserdampf eine bequeme Sanduhrsilhouette verpasst, oder einen Taillengürtel. Die Jacken weisen dabei eine Schnittführung höchster Schneiderkunst auf – ich höre das Stöhnen des Zara-Designteams beim Ranzoomen der Nähte bis hierher. Das Kopieren wird zu teuer in der Produktion.
Die Kontraste könnten ärger nicht sein, aber sie funktionieren. Auch hier: Wieder ein Home-Dekostoff, aber ein fluffiger in Zabaione-Gelb. Er wird für ein XXL-Poloshirt verwendet. Das sieht wahnsinnig elegant aus über der extraweiten Bundfaltenhose in Ecru und zu der cognacfarbenen Tasche und den spitz zulaufenden Schuhen (auch, wenn es nicht so klingt). Dem Paar gelingt die lässige Grätsche zwischen Cocktail-Outfit und 'das trägt man jetzt so'. Man möchte ihnen die Füße küssen.
Was auf den ersten Blick nach dem „Tabi-Stiefel” von Martin Margiela aussieht, ist tatsächlich die ursprüngliche, japanische „Tabi”-Form, also Socken mit Zehentrennung in Sandale. Die Meiers verwenden sehr dünne Lederstrümpfe in gleichfarbigen Sandalen mit dünnen Riemchen und dünnen Sohlen.
Jil Sander Modepilot Tabi shoes 2019 fall review
Tabi-Schuhe bei Jil Sander für Herbst/Winter 2019: dünne Ledersocken in Riemchensandalen
Doch, der vielleicht größte Erfolg dieser Kollektion: Sie schafft es, den Trend „Kleid über Hose” für eine tatsächliche Umsetzung in den Alltag in Betracht zu ziehen. Ich spreche z.B. von dem weißen Jersey-Look mit der Fischreiher-Zeichnung. Der hat es mir besonders angetan.
Es ist wie mit dem Radlerhosen-Trend für den Sommer 2019. Der sieht auch nur bei Jil Sander so aus, dass man ihn zu einem wichtigen Termin tragen möchte.
Lucie Luke Meier Modepilot Jil Sander 2019
Das Ehepaar Lucie und Luke Meier nach der Jil Sander-Show in Mailand
Photo Credit: Catwalkpictures
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