Teetassen Pro & Contra

Julia kommt nach der Arbeit bei mir vorbei, redet und schaut dabei immer wieder leicht irritiert auf die Tasse vor mir. Die Tasse bringt sie total aus dem Konzept. "Sag mal, was ist denn das für ein Becher?!" "Na, meine Teetasse", entgegne ich, nichts Schlimmes ahnend. Später sehe ich mir dabei zu, wie ich meine Hermès-Tasse auspacke, um ihr zu demonstrieren, dass ich zwar andere Tassen besitze, aber das Modell aus einem Sylter Bahnhofskiosk bevorzuge. Julia ist außer Fassung. Wir beschließen ein Teetassen Pro & Contra. Noch in der gleichen Nacht schreibe ich ihr meinen Part per e-Mail. Ihre Antwort ließ nicht lange auf sich warten (siehe unten), ihre Jasper Conran for Wedgwood Tasse brachte sie mir samt Untertasse auch gleich fürs Foto vorbei. Und nun sitze ich an meinem Schreibtisch, blicke wieder auf den Hermès-Karton in meinem Regal und überlege, ob ich das dünne Porzellan nicht doch in Gebrauch nehmen sollte.
Teetasse Hermes Modepilot
Teetasse mit Untertasse, über germany.hermes.com
"Mug" oder feines Porzellan mit Untertasse? Meine Freundin Julia Werner und ich sammelten Argumente: Plumpe für den plumpen Becher und wohl temperierte fürs feine Porzellan. Wer gewinnt?

Die Teetasse

Pro Becher

Die Teetasse ist ein Gebrauchsgegenstand. Und zwar früh morgens und spät abends. Von wegen Five o'clock tea. Um 17 Uhr trinke ich meinen dritten Espresso. Ich bin keine Engländerin.
Mit einer Teetasse hantiere ich im Dämmerzustand herum. Dann, wenn ich noch schlaftrunken bin oder gegen 22 Uhr, wenn Konzentrationsschwäche einritt. Also dann, wenn ich mich auch an der Herdplatte verbrenne, mir in den Finger schneide und mir Dinge hinunter fallen. Warum sind Teetassen eigentlich aus Porzellan? Und warum passt so wenig hinein? Ich bin es gewohnt, sehr viel zu trinken, das vom vielen Sport. Ich kann eine Wasserflasche leer trinken ohne abzusetzen und hasse Teelichter-große Wassergläser in Restaurants. Meine Lieblings-Teetasse fasst 600 Milliliter. Ich fand sie in einem Sylter Bahnhofskiosk. Wenn man anfängt zu trinken, kann man auf der Innenseite „Flut“ lesen und wenn die Tasse leer wird, dann sieht man auf dem Boden „Ebbe“ stehen. Ich finde das witzig.
Ich brauche auch keine Tasse als Statussymbol. Das klingt vielleicht komisch, wenn man sieht, was um meine Tasse auf dem Tisch so herum liegt: ein Montblanc Stift, immer das neueste iPhone (aktuell das 6s). Ah, und der Aschenbecher mit blauem Drachen von Meissen. Vielleicht ist die Teetasse aus dem Bahnhofsladen auch so etwas wie mein Ruhepohl in der Status-Welt, ein Stück Unabhängigkeit. Ich hänge da auch einen Teebeutel aus dem Supermarkt rein – nichts Erlesenes. Die schwarzen Mariage Frères Dosen in meiner Küche wurden dort von einer Freundin gebunkert, die manchmal zu Gast ist. Die fasse ich nicht an. Und meine Hermès-Tasse auch nicht. Die steht dekorativ und originalverpackt in orangefarbenem Karton in einem Seletti-Regal in meinem Wohnzimmer.
Vielleicht bin ich auch einfach nur praktisch veranlagt: der 600ml-Pott für den Alltag, den man bei Bruch online bestimmt irgendwo günstig findet, und das teure Porzellan für schlechte Zeiten. Und zum Angeben.
Teetassen Mug feines Porzellan Pro Contra Modepilot
Zwei Stühle, zwei Meinungen: Jumbobecher gegenüber dem feinen Porzellan

Contra "mug"

Meine Freundin Kathrin ist ein graziles Wesen. Im Gegensatz zu ihrer Teetasse. Für King Kong wäre Kathrins Eimer eine besonders feine Espressotasse. In den Pranken von Giganten würde sie wahrscheinlich genau richtig wirken, so wie Giganten ja auch ein iPad als iPhone benutzen können. Das ist eben alles nur eine Frage der Dimension, und der Alice-Im-Wunderland-Effekt (die klitzekleine Kathrin vor der riesengroßen Tasse) hat ja stilistisch gesehen auch was.
Der Grund, dass ich ein Gegner dessen bin, was die Amerikaner „mug“ nennen, also der unzerstörbare Flüssigkeitsbehälter mit Henkel, ist ein anderer. Ich weiß nicht, ob sie die Dinger erfunden haben, aber vieles spricht dafür: In Sitcoms schlurfen sie morgens immer ihren dünnen Kaffee aus ihnen. Die Amerikaner sind ja das lässige Volk, was bedeutet, dass sie es immer besonders unkompliziert haben wollen, was natürlich bequem, aber nicht immer gut für die Ästhetik ist. Weg mit den Brogues, rein in die Sneakers, haben sie sich irgendwann mal gedacht und wohl auch: Weg mit einer anderen großen zivilisatorischen Errungenschaft,  der Untertasse. Niemand auf der ganzen Welt kann natürlich elegant in Turnschuhen wirken, auch wenn uns das die Modeleute gerade einreden wollen. Das gleiche gilt für den "mug": Es ist unmöglich, aus dem Steingut-Ungetüm auf angemessene Weise feinsten Tee zu nippen.
Jasper Conran Wedgwood Artedona Modepilot
Teetasse von Jasper Conrad für Wedgwood, über artedona.com
Hingegen: das unbezahlbar luxuriöse Gefühl von Lippe an zerbrechlichem Porzellan! Der Henkel, den man besonders vorsichtig anfassen muss. Und das klirrende Geräusch, wenn man das zarte Behältnis wieder auf seinem passenden Begleiter, der filigranen Untertasse, abstellt. Die man natürlich auch, wenn man auf einem Samtsofa sitzt, konzentriert in der einen Hand halten kann, während die andere die Tasse zum Mund balanciert. Ungefähr so wie in Downton Abbey. So ein Schmuckstück fasst natürlich nicht viel Tee, weswegen man sich die Mühe machen muss, eine wunderschöne Teekanne anzuschaffen (meine ist das Art-Deco-Modell von Mariage Frères), um immer wieder einen Schluck nachzuschenken. Kurz: die feine Teetasse zwingt zu Contenance. Weswegen es natürlich auch weiterhin mugs geben muss, denn an schwachen Krankheitstagen geben sie Halt. An allen anderen Tagen hingegen sind sie purer Horror, vor allem in Büros. Da muss man nur in die Schränke der Teeküchen schauen: Ansammlungen von traurigen Werbegeschenk-Mugs, aus denen traurige Arbeitnehmer ihren Früchtetee schlürfen! Womit wir schon beim wahren Grund meiner Liebe zur filigranen Tasse wären.
Vor vielen Jahren jobbte ich mal in einer Kanzlei. An den Wänden hingen Kunstwerke von Gursky, die Herren trugen feinsten Zwirn von Zegna und sie tranken: aus feinen Tassen. Im Gegensatz zu den Sekretärinnen mit den Geox-Schuhen und den Coffee Mugs. Seitdem glaube ich, dass die Welt der Tassen eine Zweiklassengesellschaft ist: oben China Bone, unten Steingut mit Henkel. Es ist natürlich nicht verwerflich, ein Nine-to-Five-Mensch zu sein. Aber wer aus der Angestellten-Tasse trinkt, hat alle anderen Möglichkeiten aufgegeben. Es ist deshalb ein wahres Wunder, dass meine grazile Freundin Kathrin trotz ihrer Tassenverirrung so eine Granate ist. Wenn sie jetzt endlich ihr Hermès-Exemplar in Gebrauch nimmt, dann ist alles, wirklich alles möglich.

Soll ich mein feines Porzellan auspacken?

Tassen shoppen

Photo Credit: Modepilot, Hermes.com, Collage mit Bildern von Artedona.com und sl-geschenke.com
Modepilot ist Deutschlands erster Modeblog. Mit seiner Gründung in 2007 war und ist er Vorreiter der unabhängigen Mode-Berichterstattung. Noch heute wird die Seite leidenschaftlich von Mitgründerin Kathrin Bierling geführt. Sie ist eine ausgebildete und erfahrene Journalistin, die zunächst bei der Financial Times lernte und arbeitete und dann einige Jahre bei der WirtschaftsWoche beschäftigt war, bevor sie die Seiten Harpersbazaar.de, Elle.de und InStyle.de verantwortete. An Modepilot liebt sie, dass sie die Seite immer wieder neu erfinden muss, um am Puls der Zeit zu bleiben. Worin sie und ihre Autoren sich stets treu bleiben: Den Leser ernst nehmen, nicht sich selbst.

Kommentare

  • René sagt:

    Aus schönen Porzellan trinkt es sich besser. Das sollte man sich selbst einfach wert sein.
  • Kathrin Bierling sagt:

    Ich habe jetzt halt echt meine Hermès Tasse ausgepackt. Julia, Julia.