"Eine Woche nach der Geburt war ich wieder arbeiten"
Anne Valérie Hash gehört zu den wenigen Designern, die die hohe Schneiderkunst beherrschen. Sie war sogar offizielles Mitglied des erlesenen Kreises der Haute Couture (2008-2012). Charakteristisch für ihren Stil: Der Mix aus femininen und maskulinen Elementen. Das Thema beherrscht derzeit die Laufstege. Seit 2014 ist sie nun Kreativ-Direktor des Labels Comptoir des Cotonniers, das aktuell 20-jähriges Jubiläum feiert und für massentauglichen „Easy Chic á la française“ steht. Die französischen Marke hat weltweit 400 Verkaufspunkte, davon 230 Geschäfte in Frankreich, 40 in Japan. Zwei unterschiedliche Welten und eine Frau, die erstaunlich mühelos dazwischen jongliert.
Sie sagten einmal, dass es für die Couture im Prinzip keine Kunden mehr gibt. Nun reden zur Zeit alle davon, dass die Haute Couture ein Hoch erlebt.
Anne Valérie Hash: Couture ist Handarbeit, das ist etwas sehr Emotionales und darum geht es in der Mode. Deshalb wird sie niemals sterben und es stimmt: Es gibt mehr reiche Leute, die außergewöhnliche Dinge besitzen wollen. Aber die Couture ist zurück? Das sehe ich nicht so.
Ihr eigenes Label pausiert zur Zeit?
Pausieren ist ein gutes Wort. Ich bin mir sicher, dass ich weitermachen werde. Aber ich brauchte eine Pause und ich will mit meiner Mode alle erreichen können. Darum bin ich bei Comptoir des Cotonniers. Mir gefällt der demokratische Ansatz.
Was meinen Sie damit?
Ich mag die Nähe zum Alltag der Menschen. Die Couture ist eine andere Realität
Wo haben Sie die Couture-Techniken gelernt?
Am Chambre Syndicale de la Couture. Eine wahnsinnig technische Ausbildung: Jeder Millimeter hat einen Effekt und man näht alles von Hand. Wieder und wieder. Es ist wie ein Rezept mit exakten Angaben. Aber irgendwann muss man dann auch alles wieder vergessen, um wirklich zu kreieren.
Vermissen Sie diese besondere Kunst nicht?
Die Haute Couture ist Forschung. Man arbeitet wie in einem Labor und man muss dabei nicht an Tragbarkeit oder den Preis denken. Sie ist grenzenlos, man hat die größtmögliche Freiheit. Aber das war für mich auch eine Last.
Sie haben in Ihrer Laufbahn einige Praktika absolviert – Chanel, Dior, Nina Ricci. Aber sie blieben nicht.
Bei Nina Ricci war ich im Atelier nähen, bei Lagerfeld im Presse-Department, u.s.w.. Ich wollte nie bleiben, sondern immer die nötige Distanz zu einer Marke behalten, um möglichst viel zu lernen.
Comptoir des Cotonniers bezeichnet sich als „Pionier für den erschwinglichen French chic.“ Warum sind alle so besessen von der Idee der „Parisienne“?
Weil es stimmt. Sie hat etwas Besonderes. Es gibt immer einen kleinen Fehler. Nichts ist perfekt und genau darin liegt der Charme.
Woher kommt das?
Ich denke, die Architektur einer Stadt hat einen besonderen, unbewussten Einfluss auf die Art, wie man sich kleidet. In Italien gibt es viele prächtige, barocke Bauten. Das Auge ist daran gewöhnt. Dementsprechend glamourös ist der Stil der Italienerinnen. In New York ist alles grafischer, also sind die Frauen sehr „to the point“. Makellos, keine Unebenheiten. In Brüssel ist es etwas relaxter, in London ist es ein wilder Mix. In Paris treffen osmanische Bauten auf moderne Architektur wie den Eiffelturm. Ich kann das nicht tiefgründig erklären, aber für mich gehört das zusammen.
Jetzt verstehe ich endlich meine verrückten Urlaubskäufe. Zurück in der Heimat denkt man sich: Was hat mich denn da geritten?
Ganz genau! Spricht man über Paris sagt jeder: Oh, Paris, wie schön. Auch wenn man es nicht genau erklären kann, warum das so ist. Es ist einfach da und man fühlt es.
Comptoir des Cotonniers hat weltweit Shops. Wie finden Sie den Konsens bei diesen unterschiedlichen Stilen?
Wir haben eine Basis an Klassikern: Jeans, Trenchcoat, Peacoat, u.s.w. Innerhalb diesen Rahmens können wir spielen. Außerdem machen wir ja Mode für Mutter und Tochter. Es ist also eine große Kollektion.
Sie selbst haben Töchter. Eine ist acht Jahre alt, die andere neun. Viele berufstätige Mütter belastet der Spagat zwischen Job und Familie.
Das war einer der Gründe für die Pause meines eigenen Labels. Haute Couture, Prêt-à-porter und eine Zweitlinie – ich habe so viel gearbeitet, dass ich meine Familie vernachlässigte.
In Frankreich kehren Mütter sehr schnell wieder zurück in den Job.
In Deutschland gibt es ja oft nur eine Wahl: Kinder oder Arbeit. Ein wenig konservativ. Das ist in Frankreich anders. Drei Monate nach der Geburt wieder zu arbeiten, ist völlig normal. Meine beiden Mädchen kamen per Kaiserschnitt zur Welt. Ich war nach einer Woche wieder arbeiten. Aber eines Tages wacht man auf und stellt fest, dass man einen Fehler macht und die Prioritäten ändern muss. Ich war völlig erledigt, total neben mir. Meine Mädchen haben es auch von mir eingefordert. Einmal stand auf ihrem Weihnachts-Wunschzettel: „Ich wünsche mir, dass du mich nur einmal von der Schule abholst.“ Stellen Sie sich das vor! Jedes Mal, wenn ich sie nun abhole, freut sie sich riesig und sagt: „Du bist die beste Mama der Welt.“
Aber ihren Job würden Sie nie aufgeben?
Es ist natürlich auch eine Frage des Partners, wie man Familie und Arbeit unter einen Hut kriegt. Mein Mann ging in seiner Vaterrolle auf. Ich habe sehr spät geheiratet und direkt gesagt: „Du hast mich so kennengelernt. Glaub nur nicht, dass ich mich ändern werde.“
Die Sommer-Kollektion von Comptoir de Cotonniers
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Photo Credit: Portrait: Frabrice Laroche, Comptoir de Cotonniers
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