Wir lieben Mercedes Helnwein
Unser aktuelles Lieblingsinterview aus einem deutschsprachigen Modemagazin fanden wir in der April-Ausgabe des #ich-Magazins. Wir dürfen dieses exklusiv online teilen. Ein Vorgeschmack: "Für mich hat der Beruf Künstler kein Geschlecht! Das ist widerlich, diese Idee, dass eine Frau durch ihren Körper Eindruck auf die Welt machen soll. Jetzt scheint es schon die Norm zu sein, dass sich Popsängerinnen wie üble Prostituierte anziehen." Aber Helnwein hat noch viel mehr zu erzählen. Bitte schön:
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Was für ein Name, was für eine Frau! Künstlerin Mercedes Helnwein, 36, hat das Talent von ihrem Vater, jedoch ihren ganz eigenen, unverwechselbaren Stil. Ihre geheimnisvollen Bilder und ihre fein formulierten Texte gehen unter die Haut. #ICH besuchte Mercedes auf dem Familienschloss mitten in Irland. Faszinierend war auch das Ergebnis des sehr persönlichen Modeshootings: Helnwein zwischen Alice im Wunderland und Hipster-Girl. Im Interview erzählt sie von ihren Träumen, Sehnsüchten und der Frau, die sie gerne sein möchte.
Mercedes Helnwein öffnet die Tür mit einer dampfenden Tasse Tee in der Hand, denn das irische Wetter verlangt gerade nach etwas Wärmendem. Doch was heißt da Tür? Es sind Tore – und zwar jene des Schlosses von Familie Helnwein, irgendwo im Nirgendwo in der Grafschaft Tipperary. Hier, in dem betörend schönen neugotischen Ambiente, lebt und arbeitet sie – wenn sie nicht gerade in ihrem Atelier in Chinatown/Los Angeles an neuen Bildern werkt. Anwesend sind auch ihre Mutter Renate, 62, von der Mercedes die wundervolle feuerrote Mähne geerbt hat, und ihr Vater, Überkünstler Gottfried Helnwein, 67. Lächelnd steht er im Raum und bewundert seine Tochter bei den Vorbereitungen zum #ICH-Fotoshooting, bevor er zurück in sein Atelier geht, das berühmte Bandana am Kopf, die berühmte Sonnenbrille auf der Nase. Die ganze Familie (Mercedes hat drei Brüder, die allesamt künstlerisch tätig sind) ist im höchsten Maße kreativ; die Werke der einzigen Tochter sind bereits heiß begehrt: Von ihnen geht eine rätselhafte Energie aus, die noch lange nach dem Betrachten nachwirkt. So erging es 2010 auch dem britischen Kunstpapst Damien Hirst, als er alle Arbeiten ihrer Ausstellung „Whistling Past the Graveyard“ in der A Gallery in London aufkaufte.
Mercedes bleibt dennoch am Boden. Zurzeit arbeitet sie wieder an einem Buch, einer Liebesgeschichte voll Hysterie und Ironie, übermalt alte Familienfotos und verleiht ihnen einen Hauch von Krimi. Helnwein wirkt mittig und selbstbestimmt, auch in Sachen Selbstdarstellung. Die Mode, die sie für unser Fotoshooting wählt, passt zu ihr: ein Hauch Glamour, eine Prise Vintage, ein bisschen Rebellion. Seltsam und schön und sehr, sehr speziell.
Sie sind in einer Künstlerfamilie groß geworden. Was hat Sie als Kind inspiriert?
Solange ich denken kann, erfand ich Geschichten, ich zeichnete sie. Als Kind ließ ich Prinzessinnen Dramen erleben – verkörpert von den vielen Nagellackfläschchen meiner Mutter. Die sahen für mich wie Mädchen in Kleidchen aus. Es gab auch Prinzen, aber die spielten nur eine sekundäre Rolle, die waren eher Deko. Mit zehn begann ich, Meerjungfrauen zu zeichnen und Kurzgeschichten zu schreiben. Generell war ich eher das Indoor Girl, immer zeichnete oder schrieb ich etwas, las sehr viel. Ich hatte eher wenige, aber gute Freunde. In der Schule war ich ziemlich scheu. Und bis heute kann und mag ich nicht nichts tun – ich entspanne mich durch und in der Kreativität.
Änderte sich das in der Pubertät?
Nein, ich bin immer noch dieselbe Person, arbeite wie früher. Vielleicht hätte ich rebelliert, wenn ich in einer anderen Familie aufgewachsen und mein Vater Buchhalter gewesen wäre, wer weiß. Aber wir waren nie wirklich Mainstream. Meine Eltern behandelten uns als Individuen und als Freunde, hörten uns zu und förderten uns.
Ihr erstes Comic wurde in „Emma“ veröffentlicht, da waren Sie 13. Haben Sie nie daran gedacht, unter einem Pseudonym zu arbeiten?
Nein, ich mag meinen Namen, er ist Teil meiner Identität. Die einzige Gelegenheit, bei der ich daran dachte, war viel später, als ich zu schreiben begonnen hatte. Manche Menschen sind leider engstirnig und können sich nicht vorstellen, dass man unterschiedliche Dinge machen kann. Natürlich ist es witzig, einen neuen Namen zu erfinden, man schafft dann ja quasi eine neue Person.
Wo sind Sie am kreativsten – in Irland oder L. A.?
Überall. Aber manche Plätze sind praktischer für gewisse Dinge – in L. A. bekomme ich etwa eine Unmenge an schönen Menschen ins Studio, weil sie Schauspieler oder Model werden wollen. Egal ob ich 30 Krankenschwestern oder 50 Cops brauche, es funktioniert. Sie sind vielleicht nicht alle begabt, aber hübsch! (Lacht.) Los Angeles habe ich anfangs gehasst. Man kennt niemanden, die Distanzen sind mörderisch, wenn du auf eine Party gehst, ist alles Fake. Aber dann fand ich die besten Freunde dort, es gibt da so viele Kreative, Maler, Schriftsteller, Musiker … Mein Studio ist in Chinatown, direkt neben Little Tokyo – man sieht so viele verschiedene Kulturen, das inspiriert total. Downtown zum Beispiel sind die wunderbarsten Gebäude, die es gibt, du siehst die Spuren des alten Hollywood, die Paläste und direkt daneben Pfandleihhäuser. In Irland hingegen kann ich mich gut konzentrieren. Hier schreibe ich mehr. Derzeit arbeite ich an einem Buch, das ich vor fünf Jahren begonnen habe.
Damien Hirst hat einmal alle Werke einer Ihrer Ausstellungen aufgekauft …
Meine erste Reaktion war herzhaftes Lachen, denn ich hatte mich immer über Damien Hirst lustig gemacht. Ich nahm ihn immer als Popstar wahr – sein Talent liegt ja eher im Marketing.
Warum malen Sie?
Um gesehen zu werden in meinem Schaffen. Ich kenne eine Menge berühmter und auch berüchtigter Künstler – aber ich kenne keinen, der es wegen des Geldes macht. Ebenso macht es niemand wegen des Herumstehens in Galerien oder der PR. Und kein wahrer Künstler macht sich Gedanken darüber, wie er aussieht.
Auch nicht die weiblichen?
Für mich hat der Beruf Künstler kein Geschlecht! Das ist widerlich, diese Idee, dass eine Frau durch ihren Körper Eindruck auf die Welt machen soll. Jetzt scheint es schon die Norm zu sein, dass sich Popsängerinnen wie üble Prostituierte anziehen. Natürlich will jede gut aussehen, aber die Aufmerksamkeit sollte dem Kunstwerk gelten. Kleine Mädchen sehen das, und dieses Frauenbild hat natürlich Folgen – es geht nur um Brüste und Hintern! Dazu kommt noch dieser schreckliche Jugendwahn, als wärst du mehr wert, wenn du jung bist. Man muss Mädchen die Sicherheit geben, dass sie etwas schaffen, mehr sein können. Wie Künstler. Es werden 17-Jährige mit Thigh Gap fast kultisch verehrt. Eigenartige Welt.
Kann Kunst diese Welt retten?
Ja. Kunst ist kein Luxus. Sie ist überall: in Bildern, Texten, Musik. Ein Teenie ohne Herzschmerzsongs beim ersten Break-up-Drama – er wäre verloren!
Ihre Bilder haben stets etwas sehr Geheimnisvolles …
Im Kopf des Betrachters vielleicht. Ich denke, dass Kunst erst durch den Betrachter zu einer solchen wird, weil er sie im Kontext mit seiner eigenen Welt sieht. Also ist jede Interpretation auch richtig. Die Frauen und Mädchen in meiner Arbeit sind keine Opfer, sondern eher Halbbösewichte, immer ein bisschen verdreht. Unruhestifterinnen. Wie schon einst die Nagellack-Prinzessinnen. Zurzeit mache ich keine Bleistiftzeichnungen mehr, sondern eher großformatige Arbeiten mit dem Pinsel. Sie basieren auf alten anonymen Familienfotos – die natürlich ein großes Potenzial für eine Story haben. Aber auch Amerika, das weite Land abseits der urbanen Zentren, war mir immer eine sehr große Inspiration. Eine Familie im Süden in einer kleinen Stadt – was geht wohl in deren Wohnzimmer vor?
Ihre ersten Idole waren ja Bluesmusiker, Sie selbst spielen sehr gut Banjo und drehen auch Videos. Was können Sie nicht?
Also in Sachen Mathematik war und bin ich wahrlich kein Genie. Kochen kann ich mittlerweile ganz gut, es hat so was entspannend Mechanisches.
Alles an Ihrer Person, an Ihrer Kunst hat etwas Nostalgisches. Woher kommt die Lust an Vintage?
Die moderne Alltagswelt ist nicht interessant für mich. Ich würde nie einen Mann oder eine Frau in heutiger Kleidung zeichnen. Nichts daran reizt mich, weder die Architektur oder ein Auto noch das Innere eines Restaurants, nicht einmal in ihrer Hässlichkeit. Eine 1970er-Jahre-Küche ist interessanter als jede moderne. Das ist mein Ding, auch in der Mode. Vintage, egal ob aus den 1930ern oder den 1970ern, inspiriert mich. Aber ich trage zum Beispiel auch gern Miu Miu. Hosen habe ich nie getragen. Auch nicht als Kind. Natürlich möchte ich nicht jede moderne Kunst verdammen – es gibt nur einfach so viel Trash da draußen, leider!
Gilt für Sie auch „leichte Kost“ wie TV und Kino als Kunst?
Nicht alles. Ein Künstler lebt in seinem eigenen Universum – er schafft etwas, was du noch nie zuvor gesehen hast. Die heutige Kunst von der Literatur bis zur Musik wird nicht von individuellen Künstlern geschaffen. Alles ist der gleiche Brei. Ein richtiger Künstler schafft eine eigene, komplette Welt, er ist anders. „Seinfeld“ zum Beispiel: Man muss kein Gehirnchirurg sein, um diese Serie zu verstehen, aber sie ist große Kunst. Ich liebe die guten Dialoge. Kunst ist dazu gedacht, alle zu erreichen.
Dieser Artikel erschien zuerst im österreichischen Magazin #ich und wurde von dessen stellvertretender Chefredakteurin Janina Lebiszczak geschrieben. Wir bedanken uns bei den Kollegen, mit denen wir auch eine Online-Partnerschaft pflegen.
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Photo Credit: Matustoth.com
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