So möchte man doch nicht aussehen, Chanel!
Neulich Abend lief ich mit einer Freundin und Kollegin aus dem Modejournalismus nach einem Abendessen die Maximilianstraße entlang. Wir waren entsetzt: Was haben die Schaufenster-Dekorationen dort mit der High Fashion, wie wir sie kennen und lieben, zu tun?! Vielleicht sind wir zu viel bei Fashion Shows und in Showrooms unterwegs und lassen außer Acht, was potenzielle Kundinnen tatsächlich in eine Luxusboutique lockt. Jedenfalls sind die Outfits an den Schaufensterpuppen von Valentino und Chanel derzeit eine Frechheit!
Das möchte man alles nicht tragen. Und vor allem nicht für diesen Preis! Da sehen die Fenster bei Zara ja einladender aus! Die Mode wirkt dort hochwertiger und stilvoller zusammengestellt als bei den Häusern, die sich der hohen Schneiderkunst verschrieben haben. Das kann doch nicht sein.
Es ist einfach alles falsch an diesem Look: Nein, als halbwegs gut informierte Frau möchte man keine Baseball-Cap und auch keine Sneaker von Chanel. (Wer hat eigentlich all die Chanel Espadrilles gekauft? Hände hoch!) Und diese silbernen Autofahrer-Handschuhe sind albern. Mal abgesehen davon, dass die Taillenjeans an der Puppe genau so sitzt, wie sie eben nicht sitzen sollte, wäre die Hose mit einer Seidenbluse eine schönere Partnerschaft eingegangen.
Leute, die in München bei Valentino und Chanel einkaufen, scheinen keinen Geschmack zu besitzen, zumindest einen anderen als wir. Man hörte davon. Aber ist es aus Designermarken-Sicht sinnvoll, sich dem zwar zahlenden Kunden, aber sich damit auch der auf Dauer Image-schädigenden Anspruchslosigkeit anzupassen? Tatsächlich gibt es von Valentino oder Chanel nach wie vor textilgewordene Träume und man fragt sich, warum diese nicht im Schaufenster hängen. Der Gedanke liegt nahe, dass die Kundin keine Handwerk-wertschätzdene Person ist, sondern zu den sogenannten Neureichen gehört, die den Unterschied zwischen billiger und aufwendiger Produktion nur anhand eines Logos (und des Preises) ausmachen: Hauptsache, was von Chanel.
Für so ein ungelenk abstehendes Top brauche ich nicht zu Chanel gehen. Knöchelbedeckende, minimalistische Sneaker in Schwarz/Weiß, die nach Orthopädenschuhen aussehen, werde ich sicherlich nicht zur weiten, bunten Sommerhose tragen. Sag mal, geht's noch?
Kunden, die sich am liebsten gleich mit zwei Chanel-Handtaschen schmücken, sorgen bei Luxusmarken für sehr viel mehr Umsatz als andere, klar. Die Frage ist nur, ob man dieses Bild – als Luxus-Lemming – auch so vorgeführt bekommen möchte? Eifere ich als Chanel-Kundin einer Chanel-Sammlerin nach oder einer stilvollen Frau, die anscheinend genau weiß, was sie ihrem Äußeren antut? Es ist doch so, dass man sich immer an solchen Menschen orientiert, die müheloser einen guten und authentischen Stil an den Tag legen als man selbst. Während sich Luxus-Tanten an Mode-Tanten orientieren, die wirklich coole Sneaker zur Chanel-Handtasche tragen (wir sehen am Ende auch alle gleich aus, von Außen betrachtet), orientieren sich Mode-Tanten wiederum an noch cooleren Styling-Künstlern. Ihr hättet mal Isas und mein Gesicht sehen sollen, als wir die Balletttänzer in Tel Aviv nach ihrem Auftritt in ihren eigenen Klamotten sahen. Wow, das war ein nachahmungswürdiger Style! Und sicherlich für einen kleinen Schekel.
Was ich damit sagen möchte: Karl Lagerfeld bewies gerade mit seiner neuen Cruise Collection in Havanna, dass er genau diese Art der Inspiration in Luxusmode verwandeln kann – auf dem Catwalk, als Show. Die Kunst besteht aber auch darin, das modisch Verlockende im Schaufenster darstellen zu können; es lecker zu machen. Doch da können die Schaufensterdekorateure mit der Inszenierung von Lagerfeld nicht mithalten. Mei, der Mann ist über 80 – er kann sich nicht um alles kümmern! Tatsächlich zeigte Lagerfeld die Einzelteile auf dem Laufsteg anders: Er kombinierte zu den weiß-bunten Sommersachen zum Beispiel Sandalen in gleicher Farbgebung.
Schafft sich die Luxusmode ab?
Wenn das so weitergeht, dann möchte ich später kein Jammern hören, wenn die Umsätze wie aktuell bei Bottega Veneta um 8 Prozent zurückgehen (The Wall Street Journal >>>). Von den Designern erwarte ich raffinierte Schnitte, beste Materialien und Silhouetten, die aufgrund ihrer aufwendigen Schnittmuster den Unterschied machen. Gerade von Valentino! Gründer Valentino Garavani war es, der aus feinster Seide die am schönsten fallenden Kleider zaubern konnte. Die Marke führt das so weiter, aber anscheinend traut man den Passanten nur ein Verständnis für den Allerwelts-Stil zu. Das funktioniert für Valentino übrigens hervorragend. Bislang. Der Konzern verzeichnet wieder ein Plus in allen Märkten. Nice to know: Valentino senkt seit Ende April in den asiatischen Ländern die Preise, bzw. gleicht sie den europäischen an.
Hermès, die Marke, mit den schönsten und aufwendigsten Schaufensterdekorationen, verzeichnet ein Wachstum von 6,1 Prozent. Hier verzichtet man auch auf den schnellen Euro, Yen und Dollar, indem man den Gürtel mit der berühmten H-Schließe eben nicht aktiv anbietet. Im Onlineshop werdet ihr das gern kopierte Statussymbol vergeblich suchen. Kurzfristig ist das ein vertanes Geschäft, langfristig der richtige Schritt, wenn ihr mich fragt. Auch das Investment in geschmackvolle Schaufenster halte ich für ein gutes Marken-Management. Genau vor diesen Fenstern startet doch oft die Versuchung, eines Tages Luxuskunde zu werden.
Ich wünsche mir an Schulen ein Fach namens "Materialkunde", in dem die verschiedenen Holz-, Metall-, aber auch Stoffarten durchgenommen werden. Einmal im Jahr gäbe es einen Workshop "Qualität" zum Thema Verarbeitung und Langlebigkeit. Das sind wir unseren Nachfahren schuldig – der Umwelt und dem Lebensgefühl zuliebe! Also meine Kinder, sofern ich eines Tages welche kriegen sollte, sollen 1000 Euro besser anlegen als in eine Jeans-Shorts.
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Photo Credit: Valentino
Kommentare
"Hey, schau mal seit 2 Jahre tragen Hinz und Kunz diesen Nike Internationalist" "Stimmt. Lass mal Rockstuds drankleben und den für 550 verticken" "Und das kauft dann wer?" "Halloooo? Wir sind Valentino. Jeder!"
Hahaha, den gleichen Gedanken hatte ich auch. Und by the way Valentino: jeder vernünftige Sneakerhead wird Euch für das Ding auslachen und noch mal ein bisschen lauter denjenigen der EUR 550 dafür ausgibt. Und immer diese Sterne. Das ist doch auch schon seit hundert Jahren durch...
@modepilot: ihr sprecht mir mit dem gesamten Artikel so was von aus der Seele. Ich laufe auch jedesmal kopfschüttelnd durch die Maximilianstraße und wundere mich. Vielen Dank für das Gefühl nicht alleine zu sein, welches man fast verlieren könnte, wenn man sich die Lobhudelei auf anderen Blogs so durchliest.
Oh man, die Schaufenster sehen ja wirklich gruselig aus! Haben die großen Labels kein Geld mehr für gut ausgebildete Dekorateure, oder waren Praktikanten in der ersten Woche am Werk? Aber abgesehen von der nichtvorhandenen Deko, die Klamotten und die Zusammenstellung sehen auch wirklich schlimm aus. Auch für kleines Geld würde ich das so nicht anziehen! Absolut daneben gegriffen! Ein Schaufenster sollte das Aushängeschild eines Stores sein, soll Begehrlichkeiten wecken und Kaufimpulse setzen und nicht abschrecken.
Ich werde mal in den kommenden Tagen zum Ku´Damm fahren und schauen, ob wir auch so unmögliche Schaufenster bei Chanel & Co haben. Bin gespannt! Liebe Grüße aus Berlin
Liebe Kathrin,
ja selbstverständlich werde ich sie euch zeigen! Denn eure Fenster sind schon echt unverschämt 🙂 LG Mo (weiblich 🙂 )
Die Schaufenster der Chanel Boutique in Hamburg sehen ebenfalls sehr, sehr schlimm aus. Mir fehlen die Worte.
Und so ganz nebenbei: Erinnert euch die Schaufensterpuppe mit der Baseball-Cap nicht auch sehr stark an Kylie Jenner?
Hilfe!!
Wahrscheinlich haben die Visual Merchandiser zu sehr freie Hand und zu wenig Vorgaben, sodass zuviel eigenes Gutdünken mit in die Outfits einfließt.
Abgesehen davon, dass die Mannequins z. T. echt grausig abgesteckt sind.
Was habe ich diesen Post genossen! Herrlich! Als hättest du in meinen Kopf reingeschaut!
Beide Daumen nach oben!
Als Otto-Normalverbraucher denkt man ja immer, man hätte den Hintergedanken dabei nicht verstanden aber Geschmack ist eben Geschmack und auch wenn der Designer mir jedes Outfit-Detail weit und breit erklärt hätte ist das noch keine Garantie, dass es mir danach auf einmal gefallen hätte oder dass ich auch in 100 Jahren auf den Gedanken gekommen wäre SOWAS zu kaufen und SO zu kombinieren.
Ich weiß, manches fängt einem erst an zu gefallen, wenn es die breitere Masse erreicht hat aber... manches eben NIE! Und das ist genau so ein Beispiel!
Vielleicht war da ja auch nur der Azubi dran! (ja jaa.. jetzt war´s wieder der arme Azubi!) grins
Grüße
Dana