Ein Mantel, zwei Labels: Givenchy & Balenciaga
Ist es zu fassen? Auf Yoox.com finde ich meinen geliebten Givenchy-Mantel von 2011 (ich berichtete >>>), aber mit einem anderen Etikett! Von Balenciaga soll er nun sein. Aha.
Diesen Givenchy-Mantel aus der Pre-Fall Collection 2011 habe ich seinerzeit in der Luxusboutique Maendler in MĂŒnchen gekauft. Jetzt gibt es ihn fĂŒr weniger als die HĂ€lfte bei Yoox.com, bzw. gab es. Ich habe natĂŒrlich sofort zugeschlagen. Es gab noch genau einen und den in meiner GröĂe (36, frz. 38). Ein Zeichen! Nachdem ich neulich noch dachte, wenn es diesen Mantel noch einmal gĂ€be... egal. Wichtig ist, dass dieser Givenchy-Lieblingsmantel nun das Label âBalenciaga Paris" trĂ€gt und ich nicht weiĂ, wie ich damit umgehen soll.
Seht Euch das an! Ich staune ein zweites Mal nicht schlecht, als ich das Paket öffne: Das Balenciaga-Label ist schief und krumm eingenĂ€ht (siehe auch Nahaufnahme unten). Beim direkten Vergleich beider MĂ€ntel stelle ich erst einmal keinen weiteren Unterschied fest*. Der Produzent ist vermutlich sogar derselbe, denke ich. Bei der Anprobe gefallen mir die Ărmel nicht: Sie sind zwar genau so geschnitten, aber sie sind verknautscht, verzogen oder verknittert. Ich kann nicht sagen, ob es sich um einen Herstellungssfehler oder um falsche Lagerung handelt. Bilder dazu am Ende des Artikels.
So wurde der Mantel zuletzt (bis 26. Juli 2017) angeboten:
Materialcheck. Die Materialangaben stimmen zu 100 Prozent ĂŒberein, die eigenĂ€hten Waschzettel sind gleich: 77 % Wolle, 19 % Polyamid, 4 % Elasthan. Beim Leder handelt es sich ebenfalls um Lammleder.
Ich schrieb umgehend e-Mails an die Pressedamen von Yoox und Kering (Inhaber des Modehauses Balenciaga) und warte seither (26. Juli) auf RĂŒckmeldung. Auf so ein Fashion Gate muss man aber auch erst einmal eine Antwort finden. In der Zwischenzeit rief ich meine italienische Modeexpertin an und erzĂ€hlte ihr von meinem FundstĂŒck. Sie: âHast Du nicht das Buch 'Gomorrah' von Roberto Saviano ĂŒber die italienische Mafia gelesen?" Da stehe alles ĂŒber die fast inflationĂ€re Vergabe von Marken-Etiketten drin, sagt sie. Also wie die Modemarken ihre Schnittmuster, Stoffe und Labels an verschiedene Produzenten in Italien vergeben und dann aber nicht alles abnehmen. So entstehe ein Ăberschuss, der kaum zu kontrollieren sei.
Peter von Becker schreibt ĂŒber das Buch im Tagesspiegel: âSaviano nennt Namen, etwa Armani und Versace. ... Ăbrigens hat keines der Mode-Weltunternehmen die Angaben von âGomorrhaâ bisher bestritten." Er schreibt weiter: âDas preiswerteste Angebot erhĂ€lt den Zuschlag, manchmal konkurrieren auch mehrere Schneider um denselben Entwurf. Wer am Ende nicht auf dem Laufsteg landet, bedient mit dem stillen EinverstĂ€ndnis der ModehĂ€user den zweiten Markt der Outlets: mit echten Kopien, mit autorisierten FĂ€lschungen. Das hat man bisher kaum gewusst."
Ein MĂŒnchner Espressobohnen-Importeur legt noch einen drauf: Er hat einen Freund/Bekannten in Prato, dem Umschlagplatz fĂŒr Designerware. Er erklĂ€re ihm das System, das er so gut kennt, weil er selbst darin arbeite. Solche Designerware, erzĂ€hlt mir mein Kaffeemann, werde heute vorwiegend in Asien produziert. Lediglich die Etiketten werden in Prato eingenĂ€ht â das reiche aus, um es anschlieĂend âMade in Italy" nennen zu können. Und er sagt auch, dass der ProduktionsĂŒberschuss im Outlet landet â er werde erst einmal zwei, drei Jahre zurĂŒckgehalten: âEigentlich mĂŒsste er vernichtet werden, aber das bringt der Italiener nicht ĂŒbers Herz."
Pre-Fall Collection 2011 by Givenchy
Das Lookbook der Pre-Fall Collection 2011 von Givenchy zeigt leider nicht den Mantel, um den es hier geht, aber die Looks erlauben dennoch einen RĂŒckschluss auf Stil, Farbe und Material. AuĂerdem fand ich ein weiteres Produktfoto des Givenchy-Mantels auf Pinterest â das Foto wurde sich einst aus dem Onlineshop von Barneys New York gezogen und verlinkt dorthin. Hier ist der Mantel selbstredend ausverkauft. Alle Fotos in der Galerie:
Â
Was mache ich nun mit dem Zweitmantel?
*zu den Farbunterschieden: Die unterschiedliche Farbigkeit bei den MĂ€nteln ganz oben auf dem Aufmacherbild ist lediglich auf unterschiedliche Belichtungen zurĂŒckzufĂŒhren. Das Mantel-Foto auf der linken Seite stammt noch aus dem Maendler-Onlineshop und zeigt das Modell von Givenchy, das ich (Mitte) seit Jahren trage. Das Mantel-Foto auf der rechten Seite zeigt das Modell mit dem Balenciaga-Etikett aus dem Yoox.com-Onlineshop. Im Foto darunter sieht man, dass beide MĂ€ntel die exakt gleiche Farbe haben. Und nachfolgend sieht man den Mantel mit Balenciaga-Etikett und seinen schlecht gelagerten Ărmeln:
Â
Mein Fazit: Vielleicht ist in irgendeinem Lager nach all den Jahren das Original-Etikett abgefallen. Auf dem Boden fand man lediglich eines von Balenciaga und so glaubte man... Wie aber kann dieses KleidungsstĂŒck ohne Balenciaga-Historie, dafĂŒr aber mit einem offensichtlich völlig dilettantisch angenĂ€hten Balenciaga-Etikett im Yoox.com-Onlineshop landen? Man muss dazu wissen, dass die Yoox Gruppe sehr viele Designer-Onlineshops betreibt, darunter auch den von Balenciaga. Unter âProduktqualitĂ€t" heiĂt es auf Yoox.com: âDank direkter und enger GeschĂ€ftsbeziehungen mit Designern, Herstellern und autorisierten HĂ€ndlern, ist es yoox.com möglich eine Auswahl an Produkten höchster QualitĂ€t und garantierter Echtheit anzubieten." Und da fehlt mir das VerstĂ€ndnis. Unterm Strich bin ich aber froh, dass der Mantel-Ăberschuss mit all seinen schönen Lammleder-Details seinerzeit nicht vernichtet worden ist. Einen Haufen brennender Givenchy-MĂ€ntel hĂ€tte mich wohl noch mehr entsetzt.
Newsletter
Photo Credit: Collage aus Fotos von Maendler, Inka Marnette und Yoox.com, Givenchy, Modepilot
Kommentare
Im Yoox.com onlineshop sind mir schon mehrfach seltsame Dinge aufgefallen.
Ich hatte mir zum Beispiel bei Browns London ein Oberteil von Dries van Noten gekauft und einige Monate spÀter gab es dasselbe Teil bei Yoox, aber zu einem deutlich höheren Preis als der regulÀre bei Browns. Wie kann das sein?
Denn Yoox gibt an, dass ihre Preise angeblich etwa der HĂ€lfte der Preisempfehlungen der Designer entsprechen bzw. bei aktuellen Kollektionen den Listenpreis widerspiegeln.
An einer bei yoox bestellten Jacke von Gucci fiel beim Anprobieren ein Knopf ab. Gut, das kann immer mal passieren, oder war die Jacke etwa nur zweite Wahl?
Eine Hose von Celine war mindestens 2-3 nummern grösser als auf dem Etikett angegeben.
Nach meinem Eindruck war diese französische Grösse 36 eher eine deutsche 40. Auch hier das falsche Etikett?
Yoox hat zwar in der Produktbeschreibung angegeben, dass die Hose gross ausfÀllt, aber gleich soviel?
Das könnnen natĂŒrlich alles dumme ZufĂ€lle oder kleine Schlampereien sein, jedoch hat dies dazu gefĂŒhrt, dass ich bei Yoox in letzter Zeit nichts mehr gekauft habe.
Ach, klar kannst du die Ărmel dampfbĂŒgeln. Genau das wollte ich vorschlagen, bis ich die Kommentare las. Das merken die bei yoox doch nie im Leben.
Ich kaufe dort ĂŒbrigens sehr viel, vor allem Schuhe, und hatte noch nie eine Kopie oder Ăhnliches. Manche Teile sind sehr verknittert, aber das kriegt man ja hin.
Wenn es wirklich nur die Ărmel sind, die dich stören und du den Mantel so sehr magst: Ich wĂŒrde ihn behalten. Am Besten reinigen lassen, die kriegen die Ărmel besser hin als du mit dem DampfbĂŒgler. Kannst ja vorher mal fragen.
Das Etikett ist doch wumpe, das erkennen doch nur solche Profis wie ihr. Notfalls raustrennen.
Klar! Sobald ich von einer Stelle RĂŒckmeldung bekomme, gebe ich Bescheid.
Danke fĂŒr Deine EinschĂ€tzung. Liebe GrĂŒĂe!
QualitĂ€t, Farbe, Form und Verarbeitung sind das eine, aber wie wir alle wissen, ist man gerne bereit, fĂŒr den Schein, Ausstrahlung und Philosophie einer Marke ein erhebliches Plus an Geld auszugeben, das die rein sachlichen Wertfaktoren bei weitem ĂŒbersteigt. Es ist eben nicht das gleiche GefĂŒhl, ob man einen Mantel einer groĂen Traditionsmarke ĂŒberstreift oder eben in ein Discounterteil schlĂŒpft. Und genau dieses GefĂŒhl sehe ich hier erheblich beschĂ€digt, wenn wahllos Etiketten reingenĂ€ht werden. Bleib bitte an dem Thema dran, das ist wirklich brisant.
Ansonsten sehen der Mantel und du darin toll aus - vielen Dank fĂŒr den erhellenden Artikel (auch wenn noch vieles im Dunkeln ist)
Irgendwie finde ich dafĂŒr gar keine Worte. Krasse Geschichte jedenfalls.
Ich wĂŒrde den Mantel zurĂŒckschicken, denn ich hĂ€tte immer das GefĂŒhl ein 'fake' zu tragen, auch wenn es vielleicht gar keins ist.
Und auĂerdem weiĂ ich jetzt, dass ich dieses Buch namens Gmorrha wohl unbedingt mal lesen sollte.
Bitte bleibe an dieser Geschichte dran, wenn es RĂŒckmeldungen geben sollte.
Ggf. wĂ€re es eine Möglichkeit, den Mantel/ die Ărmel dem Schneider Deines Vertrauens vorzulegen. Futter/ Einlagen scheinen evtuell verzogen oder unsauber eingearbeitet zu sein.( Falls nach dampfen keine Besserung des Ărmelfalls eintritt, wĂŒrde ich das untersuchen.)
Mit freundlichen GrĂŒĂen, Daniela Struck