Modedesign auf höchstem Niveau

Ein Gespräch mit Visionärin Pascale Gatzen über Modedesign wie es sein sollte

Da sitzt sie vor mir, die Modemacherin und Professorin, die ich neulich noch auf Arte bewunderte. Ich schrieb die Niederländerin direkt nach der Sendung an (Die Folge der Fernseh-Serie lautete „Eine andere Mode ist möglich” >>>). Es war eine Bauchentscheidung, eine gute.

Wir treffen uns in ihrem neuen Zuhause in Arnheim

Sie ist aus New York hierher gezogen, um das, was sie an der Parsons School etablierte, auch an der Kunsthochschule von Arnheim einzuführen (New head of the fashion design master's programme at ArtEZ >>>): einen neuen Lehrplan (und ein Bewusstsein), bei dem Modedesign einer nachhaltigen Materialbeschaffung folgt – und nicht ein Material um Biegen und Brechen einem Entwurf folgen muss.
Pascale Gatzen Jacket Wool Modepilot
Von Hand gewebte Wolljacke von 'Friends of Light'
Sie gehen als Modedesignerin mit gutem Beispiel voran...
Gatzen: „Ja, mit unserem Label 'Friends of Light' weben wir Jacken aus Wolle, die wir selbst verspinnen. Die Farm, auf der die Schafe leben, gehört einer Freundin, die die Schafe nur einmal im Jahr zwischen Januar und Februar schert. Wir produzieren die Jacken erst, wenn wir einen Auftrag haben, damit wir sie der Kundin/dem Kunden passgenau anfertigen können und er sehr lange Freude daran hat.”
Über Pascale Gatzen: Die Designerin zählt zum niederländischen Designerkollektiv „Le Cri Neerlaindais”, das in der Neunzigerjahren als 'the Arnheim Six' in Anlehnung an die die 'Antwerp Six' der 1980er weltweit gefeiert wurde. Dazu zählen auch die beiden Designer, die später als Viktor & Rolf bekannt wurden. Sie alle machten 1992 ihren Abschluss an der Kunsthochschule in Arnheim und zeigten 1994 als erste niederländische Designer bei der Prêt-à-porter in Paris. Das i-D Magazine schrieb in seiner Märzausgabe '94: „Gatzen hat ein großes, gestalterisches Talent. Ihre Spezialität ist das Erschaffen einer neuen Formensprache, die durch strategisch ausgeklügelter Lagen, gleichermaßen ungewöhnlich wie tragbar ist.” Doch Gatzen begann damals bereits darüber nachzudenken, dass das Modesystem mit seinen Schauen und den halbjährlich wechselnden Kollektionen überdacht werden muss und zog sich aus der Modemühle zurück.
Es sind vor allem jene, die selbst in diesem klassischen Modesystem noch arbeiten, die heute Kunden von 'Friends of Light' sind. Darunter der Kreativdirektor eines großen New Yorker Modelabels: „Er trägt sie ständig und überall, wo er hingeht, zieht er die Jacke aus, um sie zu zeigen und die Geschichte zu erzählen. Er erzählt sie wirklich jedem!” Es sind aber nicht nur Designer, sondern auch Designerboutiquen-Betreiber. „Sie verstehen am besten, was wir tun”, sagt Gatzen.
Gatzen Modepilot Arnheim
Pascale Gatzen zeigt mir, aus welchen Teilen so eine gewebte Jacke besteht

Auf Maß gefertigt: Gutes Design folgt – nach wie vor – der Funktion

Gatzen: „Ich mache die Schnittmuster für jeden unserer Kunden. Es braucht zwei bis drei Anproben, bis die Jacke fertig ist. Eine Kundin war z.B. sehr klein und schmal, hatte aber sehr große, gemachte Brüste. Das war spannend. Ich musste die Schultern schmal halten, aber viel Raum für die Brust schaffen. Die Webteile brauchten ganz andere Proportionen.”
Gatzen zeigt mir ein gewebtes Rückenband und erklärt, dass alle Garne aus Wolle sind. Kein anderes Material, auch keine Baumwolle, wird für diese Jacken verwendet. Auch nicht beim Vernähten der einzelnen Webstücke (jedes mit abgeschlossener Webkante!), die aus einem Garn am Stück gewebt sind. Man kann sie daher stretchen und modellieren bis sie die richtige Form annehmen.
Gatzen Friends of Light Modepilot
So entsteht eine perfekte Passform und Bewegungsfreiheit
Extra eingenähte Einsätze (auch farblich erkennbar) an Achsel und Schulter sorgen für eine ungewohnte Bewegungsfreiheit. „So war das früher bei Chaneljacken auch, die waren komfortabel, aber seit Karl Lagerfeld ist das nicht mehr so. Coco Chanel waren die Ärmelansätze um die Schulter herum besonders wichtig. Weil sie die Jacken selbst trug. Jetzt sind sie 'picture perfect' – nicht dafür gemacht, sich tatsächlich darin zu bewegen.”
Gatzen: „Wenn Du die Jacken von beiden nebeneinander legst, siehst Du den Unterschied. Aber das lässt sich auf einem Foto auf Instagram nun mal nicht erkennen.”
„Ich denke, unsere Kunden mögen es, dass wir nicht auf Instagram sind.” (Pascale Gatzen)

Wie reagieren Deine Studenten auf Deine traditionelle Herangehensweise ans Modedesign?

Gatzen: „Ich habe Stundenten, die wieder traditionell arbeiten möchten; die daran interessiert sind, mehr über das Handwerk zu erfahren. Für sie war modische Kleidung, dank H&M und Zara, immer erschwinglich. Aber warum sollte Kleidung nicht wieder um den einzelnen Körper herum gestaltet werden?
Ich kann nicht zu H&M gehen oder in einen dieser Shops. Sie haben keine Identität, also fühle ich mich von ihnen auch nicht angezogen. Wirklich, mein Körper rebelliert, wenn ich nur in die Nähe dieser Geschäfte komme.”
Ist es auf den Luxusmeilen besser?
Gatzen: „Leider nein. Sie bieten alle das gleiche an, egal ob Margiela oder Dior. Bekannte von mir, die in Los Angeles eine seit den Siebzigern bekannte Designerboutique führen, kamen im Herbst von ihrem Order-Trip von Celine zurück. Sie fanden nichts. In der Saison zuvor kauften sie noch für 400.000 Dollar ein.
Es sind vor allem Leute, die schon lange im Modebusiness arbeiten und davon gelangweilt sind, die sich für  unsere Jacke interessieren. Sie mögen die Geschichte und sie sagen, sie können die Energie des Produktes fühlen.

Happy Clients

 
Ich kenne all unsere Kunden persönlich und stehe mit ihnen in Kontakt.”
In der Arte-Dokumentation war die Rede davon, dass Eure Jacke 6.000 Dollar kostet...
Gatzen: „Das stimmt. Und keiner von uns kann davon leben.”
Warum nicht?
Gatzen: „Die Haltung der Schafe ist teuer, das Verspinnen, Weben und Anpassen sehr zeitaufwendig. Wir haben bislang aber auch erst elf Jacken verkauft.”
Was sollte ein Kleidungsstück generell wieder kosten?
Gatzen: „Ich gebe nie weniger als 500 oder 600 Dollar aus. Aber ich kaufe auch nur zwei bis drei neue Kleidungsstücke pro Jahr. Vieles nähe ich selbst.”
„Design und Handwerk muss viel mehr miteinander verbunden sein. Auch mit den Farmern, viel mehr mit den Farmern! Denn hier beginnt alles.” (Pascale Gatzen)
Gatzen: „Wir müssen verstehen, dass alles was wir brauchen, bei den Bauernhöfen beginnt: unser Essen, unser Obdach, unsere Kleidung. Wenn wir nicht auf eine gesunde Herstellung achten, dann ist nichts möglich. Es ist sehr wichtig, dass uns das bewusst ist.”
Die Schaffarm-Betreiberin Sara kann von der Wolle, die für die Jacken verwendet wird, (noch) nicht leben. Daher beschlossen Gatzen und ihre Kollegen von 'Friends of Light' Wolldecken zu produzieren, für die es mehr Material braucht.
Auch Li Edelkoort, die niederländische Trendforscherin, macht bei diesem Projekt mit.
Gatzen: „Ich denke, in einem normalen Unternehmen würde man, wenn ein Zulieferer bankrott geht, einen neuen suchen. Aber wir sind mit allen, mit denen wir arbeiten, auch befreundet, wie mit unseren Kunden auch. Also beschlossen wir, erst einmal den Fokus auf Decken zu legen, damit Sara davon leben kann.”
Fünf Designstudios aus New York machen mit und gestalten jeweils eine Decke, die sie selbst promoten. Ziel ist es, immer mehr Designer mit lokalen Produzenten zusammenzuführen.

Fragen von Pascale Gatzen an mich & Euch:

– Ihr könnt die Fragen für Euch beantworten oder (sehr gern!) auch unten in unserer Kommentarfunktion. –
Welche Verbindung hast Du zu der Kleidung, die Du trägst?
Was führt dazu, dass Du Dich in ein Kleidungsstück verliebst?
Photo Credit: Mark Borthwick, Modepilot, Shari Diamond
Modepilot ist Deutschlands erster Modeblog. Mit seiner Gründung in 2007 war und ist er Vorreiter der unabhängigen Mode-Berichterstattung. Noch heute wird die Seite leidenschaftlich von Mitgründerin Kathrin Bierling geführt. Sie ist eine ausgebildete und erfahrene Journalistin, die zunächst bei der Financial Times lernte und arbeitete und dann einige Jahre bei der WirtschaftsWoche beschäftigt war, bevor sie die Seiten Harpersbazaar.de, Elle.de und InStyle.de verantwortete. An Modepilot liebt sie, dass sie die Seite immer wieder neu erfinden muss, um am Puls der Zeit zu bleiben. Worin sie und ihre Autoren sich stets treu bleiben: Den Leser ernst nehmen, nicht sich selbst.

Kommentare

  • Ulrike sagt:

    Sehr interessante Frau, spannende Ideen! Das ist Avantgarde!

    Die Jacke wäre mir allerdings zu alternativ. Ich liebe Mode, habe jedoch kaum bei H&M oder Zara eingekauft, trotzdem in den letzten 20 Jahren jede Menge Klamotten konsumiert und manches Stück wirklich nur 2x getragen.

    Bin seit einigen Monaten dabei hier auch umzudenken und weniger, jedoch sehr hochwertige Teile zu kaufen. Im vergangenen Herbst habe ich mir ein Massjackett machen lassen - Karostoff mit hohem Cashmereanteil, damit nicht so kratzig und als Besonderheit mit einem sehr individuellen bunten Paisleyfutter. Seither trage ich fast nur noch dieses Jackett und fühle mich immer perfekt angezogen. Das nächste Jackett ist in Planung.

    Eine Jacke, an der alles in Handarbeit individuell gefertigt wird, finde ich mit 6000€ nicht mal teuer. Bei Chanel geht es für diesen Preis gerade mal los - allerdings bekommt man kein Unikat.

    Wir müssen umdenken, denn auch die schnelllebige Mode zerstört unsere Umwelt und kein Mensch braucht 5 Wintermäntel (wenn wir kritisch mit und selbst sind).

    Werde Pascale Gatzen auf jeden Fall mal im Auge behalten!


  • flx sagt:

    Die Kleidung die ich trage wird mit jedem tragen immer mehr zu Meiner Kleidung.
    Verlieben tue ich mich somit meistens über die Zeit und das Tragen in ein Kleidungsstück.
    Meine Aufmerksamkeit bekommt ein Teil häufig erst wenn ich nach etwas in der Art suche und dann von Farbe/n, Material und anfühlen angesprochen bin.
    Näher an die Bauern find ich gut!✌️
  • Simone sagt:

    Mir ist immer wichtiger, dass Mode anständig produziert wird....ich lebe mit zwei Hunden, die mich jeden Tag darauf aufmerksam machen, wie wichtig es ist, die Natur zu schützen. .....Wenn ich in meinen Kleiderschrank schaue, dann sind da Kleidungsstücke, die so zeitlos und von guter Qualität sind, dass sie schon seit Ende der 80er dort hängen und liegen. Sie waren nicht ständig im Einsatz, weil mal Farbe, mal Größe, mal Schnitt nicht passten (dafür gibt es Schneider - noch so ein Beruf, der förderungswürdig ist!), aber sie durften bleiben.Und das hat sich sehr gelohnt, weil sie immer wieder sehr gerne getragen werden, und ich mich daran freue: mal, weil sie sich so schön anfühlen, mal, weil sie immer noch wirklich gut aussehen.- Alaia seit 1987 - als Studentin zusammengespart, oft bei ihm im "kleinen Lädchen" in Paris günstig gekauft, aus den aktuellen Re-Editionen hab ich die heißgeliebten Originale.., Strick von Ballantynes, Aida Barni oder Smedley - die Garne gibt es heute bei anderen nur noch selten in der Qualität (Merino oder Kaschmir, das 20 Jahre und viele Wäschen hinter sich hat, ist wie neu), Schuhe von Blahnik und Reiter, die auch nach ...ähem....20 Jahren tiptop sind, meine Burberrys, Armani oder Dolce& Gabbana, Miyake. Das zu kaufen, wenn man es sich gerade leisten oder gut einkaufen kann, ist auch eine Form von Nachhaltigkeit. Und es müssen nicht immer solche "High-End"-Designer sein: Meine Levis-Jacke oder 501s von vor langer Zeit, Gap-Shirts, die 25 Jahre auf dem Buckel haben, waren sehr bezahlbar für jeden - und sind immer noch nicht auseinander gefallen und tragbar.- Eine Jacke für € 6000 könnte ich mir spontan nicht leisten, kann aber nachvollziehen, dass die einzelnen Schritte das so teuer machen. Zum Vergleich: Kauft man einen Esstisch, der nicht in China, sondern in Deutschland produziert wurde, hier designt, vom Schreiner aus einem ausgesuchten (deutschen) Baumstamm geschnitten, gehobelt, verleimt, geölt..... läge der Preis pauschal gesagt , auch in der Größenordnung. Bei einem Gewinn von um die € 200 für den Produzenten - wenn überhaupt. Wieviele Tische braucht man? Wieviele Jacken? - Und nebenbei: Mir wären wenige, anspruchsvolle, weil mit Hirn und Expertise geschriebene virtuelle Modeinfos (wie Euer Blog - Blog, so hieß das ja mal) lieber als diese Pest von narzisstischem, nicht nachhaltigem Influencermist in den sozialen Medien........