„Das ist entwürdigend, aber was willst Du machen?”

Interview mit Annette Weber über das, was man „Street Style” nennt

Modeexpertin und Bloggerin Annette Weber und ich treffen uns zu einem Interview im Münchner Literaturhaus. Wir sprechen über den Street Style-Wahnsinn, den sie selbst betreibt (und darüber, was sie viel lieber tun würde), seitdem sie nicht mehr Chefredakteurin der deutschen InStyle ist. Sie betreibt den Blog Glamometer und trennt sich gerade von ihrer Geschäftspartnerin Viktoria Rader, genannt „Viky”.
Max Mara Annette Weber Modepilot
Annette kommt 2018 mit ihrer Ex-Glamometer-Partnerin Viky bei der Max Mara Fashion Show an
Annette, warte, das Band lief noch nicht. Kannst Du das bitte wiederholen? (Annette kommt abgehetzt vom Tag und lässt sich ins Sofa fallen.)
Annette: „Am liebsten würde ich im stillen Kämmerlein sitzen und den ganzen Tag Schnulzen schreiben.”
Gar nix mit Mode? 
Annette: „Nein, nein, gar nix mit Mode! Ha, ich kann so gut Schnulzen schreiben.”
Warum machst Du das nicht? Das interessiert die Leute vermutlich mehr als Mode...
Annette: „Die Texte sind doch den meisten total egal. Für einen guten Text habe ich einen Tag lang Arbeit, eigentlich zwei, und ich bin schon superschnell. Aber so ein Foto ist schnell gemacht. Da hast Du so eine Idee wie Pink und Rot. Die ist dann zack fotografiert. Das ist so easy und schnell verdientes Geld, wenn Du es gut machst.”

„Aber so ein Text wird halt nicht bezahlt. Die Leute wollen das nicht, ist so.”

Die Auftraggeber wollen keine Texte oder auch die Leser nicht?
Annette: „Meine schnulzigen Geschichten laufen wie bekloppt (z.B. Ibiza-Affäre >>>). Ich schreibe über Menschen, die Medikamente nehmen; die reichen Verwöhnten, die armen Schlucker, die vom Leben Abgehängten. Die gibt es alle und über die schreibe ich am liebsten. Das ist mein Schönstes.”
Modepilot Annette Weber Fendi Mailand Street Style
Annette in Fendi auf dem Weg zur Fendi Fashion Show in Mailand
Ich dachte immer, die Fashion Weeks seien das Schönste für Dich.
Annette: „Ne, Ich würde auch nicht mehr zu den Designerschauen reisen. Weißt Du, da ist dann wieder dieses Hauen und Stechen: Wer kriegt die besten Looks. Und vor den Streetstyle-Fotografen dann die Ellbogen raus.”

Eine ganz schlechte Energie...

Annette: „Eine ganz schlechte Energie! Weil jeder so tut, als sei man miteinander befreundet. Was natürlich nicht der Fall ist. Du konkurrierst um die Gunst der Streetstye-Fotografen, um die Weltöffentlichkeit! Da stehen alle relevanten Streetstyle-Fotografen und ein Foto von Dir kann Deine Karriere maßgeblich beeinflussen. Das weiß jeder, der da steht. Da muss man nicht so tun als wärs nicht so.”
Und das ständige Umziehen ist wichtig, um die Streetstyle-Fotografen bei Laune zu halten. Am besten, man trägt die Marke, die gerade zeigt oder gezeigt hat.
Annette: „Deswegen geht es natürlich auch darum, welche Looks Du im Vorhinein kriegst. Ob Du nur den zweiten oder den dritten oder nur die Accessoires einer Marke bekommst. Weißt Du, die Schauen sind ja auch immer so ein Spiegel von Deiner Wertigkeit, Deiner Wichtigkeit in der Branche: Kriegst Du ein Ticket für die Max Mara-Show oder zu Fendi? Wo sitzt Du da? Klar, ist es für mich da auch schwierig.”
Warum schwierig?
Annette: „Ich sitz jetzt auch nicht mehr... also in der ersten Reihe. Das war nicht leicht, sich damit abzufinden, dass da Deine ehemaligen Assistentinnen drei Plätze vor Dir sitzen. Dann denkst du: ist halt so, muss ich mich halt wieder nach vorne switchen.”
Interessiert das irgendjemanden noch? Ich meine außerhalb dieser Blase? 
Annette: „Das interessiert keinen, aber das schlägt ganz extrem aufs Selbstwertgefühl. In Mailand geht das ja noch, weil Mailand immer noch so mein Hometurf ist, aber ganz schlimm ist es in Paris. Ich komme immer total frustriert aus Paris zurück. Das war schon zu InStyle-Zeiten so.”
Aber den Lesern ist es doch total wurscht, ob Du überhaupt da warst, oder nicht? 
Annette: „Meine Follower interessiert es einen Sch***dreck, ob ich in Mailand oder Paris bin. Die wollen von mir schöne Looks sehen und an meinem Leben teilhaben. Aber für die Auftraggeber ist es wichtig, wenn Du dort gesehen wirst. Und, wenn Du in die amerikanische Vogue kommst, oder auf Stylestalker landest, oder wie die Seiten alle heißen. Dann ist das schon super für die Reichweite.”
Und dafür wechselst Du mehrmals täglich die Kleider?
Annette: „Wir brauchen ja Content... . Also erstens wirst Du ausgestattet für die Schauen, auf die Du eingeladen wirst. Und dann muss man die Sachen auch anziehen. Das ist der Deal.”
Du bekommst also auch Geld dafür?
Annette: „Zum Teil, ja, natürlich. Manche Schauen machst Du auch mal so. Du kriegst dann die Ausstattung, die muss dann auch fotografiert werden und Du hast dann geilen Content. Und Du zeigst Dich der Weltöffentlichkeit. Das hat man ja auch nicht so oft. Aber es gibt einige Blogger, z.B. die Maja Wyh, die macht das einfach nicht. Das ist so geil!”
Stimmt.
Annette: „Andererseits, ich bin ja auch ne Journalistin. Ich will ja auch was von der Branche wissen: Was gibt es Neues? Welche großen Trends kommen? Was sagen die Geschäftsführer, die Designer? So eine Fashion Week ist ja auch ein Kommunikationstreffen.”
Das letzte Mal, als wir uns sahen, sagtest Du, dass Du eigentlich nur noch einen Look pro Tag tragen möchtest bei den Fashion Weeks, weil Du das ständige Umziehen so würdelos findest...
Annette: „Ja, das war früher viel besser! Da hattest Du nur einen Look pro Tag und das war schon anstrengend genug.”
Ja, Danke.

„Am liebsten hätte ich wieder nur einen Look. Das geht aber nicht.”

Annette: „Stattdessen musst Du Dich mühsam in Autos umziehen. Da sitzt der Chauffeur vorne und glotzt noch blöd. Also bei mir jetzt vielleicht nicht, haha, aber bei der Viky, haha. Das ist entwürdigend, aber was willst Du machen?”
Anm. d.Red: Viky ist die ehemalige Partnerin von Annette bei Glamometer. Die beiden trennen sich gerade, weil sie unterschiedliche Vorstellungen von der Blogausrichtung haben. Viky möchte lieber auf Englisch kommunizieren. Annette hingegen möchte weiterhin auf Deutsch schreiben. Viky wird dafür weiterhin sich und ihre Kinder unter 'Viky and the Kid' vermarkten. 
Annette Weber Modepilot Street Style
Annette (rechts) mit Viky bei der Mailänder Modewoche im vergangenen Sommer
Was würdest Du zu den Fashion Weeks tragen, wenn es nicht um die Instagram-Reichweite ginge?
Annette: „Ich würde schon die Brands anziehen, die ich auch sonst immer anziehe. Ich mag Max Mara wahnsinnig gerne, ich mag Prada, und ich trage viel von der Frauke Gembalies. Da siehst Du immer gut mit aus! Ich kombiniere Frauke aber mehr so mit Jeans. Jeans macht sie ja keine.”
Annette Weber Modepilot Max Mara AG Jeans
Annette in München: Mit AG Jeans, einem Pullover von Frauke Gembalies und einem Mantel von Max Mara
Was magst Du nicht so gern?
Annette: „Dieses ganze „In your face“-Zeugs... Wenn Du Dir vorstellst, so einen Total-look von Gucci... Den trägst Du genau ein einziges Mal. Vielleicht zweimal, wenn Du Glück hast dreimal, und dann kannst Du ihn nicht mehr anziehen. Max Mara ist schön ruhig.”
Aber wie ist das? Du kommst dann in so einem Total-look von Max Mara zur Show an und dann tragen, sagen wir mal, 15 andere Influencer auch einen Total-look von Max Mara. Das ist doch komisch...
Annette: „Ja, aber es ist so, dass es vorher genau festgelegt wird, wer welchen Look anhat. So, dass nicht die gleichen in dem gleichen Look auftauchen. Das ist total gewährleistet, ist auch richtig so.”
Annette Weber Influencer Instagram Interview mit Modepilot
Annette bei der Max Mara Show für Herbst 2019 in Mailand

„Und dann gibt es ganz viel Tränen: Uahh, ich hab den Mantel nicht gekriegt.”

Was wirst Du zu den kommenden Fashion Weeks in Mailand und Paris tragen? Wie bereitest Du Deine Looks vor?
Annette: „Die Wahrheit ist: Ich hasse das so sehr, dass ich immer erst auf den letzten Drücker anfange. Dann gehe ich zu den Agenturen und leihe mir die Sachen aus.”
Machst Du Dir vorab Fotos von den Looks, wie Du sie tragen wirst?
Annette: „Das ist die Idealvorstellung. Du musst halt erst einmal gucken, was Du überhaupt kriegst. Es gibt viele Firmen, die meinen es gut mit mir. Die schicken mir dann so Sachen, die für mein Alter aber nicht passend sind, z.B. zu dekolletiert. Mir steht ja auch nicht alles.”
Wonach suchst Du für die neue Saison?
Annette: „Ich will jetzt keine Ugly Sneakers mehr. Da sieht man als erwachsene Frau einfach sch*** aus. Dieses Oversize ist ja der allergrößte Trend und ich bin echt gespannt, wie eine schicke Frau dieses Oversize-Thema umsetzt ohne Sneakers. Weißt, was ich meine? Ich freue mich jetzt schon auf Carine Roitfeld! Wie will man dieses geile Oversize... damit es nicht zu lesbisch wird... wenn Du auch noch Sneakers dazu anziehst!”
Du möchtest schauen, wie Carine Roitfeld das Problem löst?
Annette: „Natürlich, haha! Ich klau ja immer alles, hehe.”
Müssen es eigentlich immer die aktuellen Kollektionen sein, die Du da trägst? Kann es nicht auch mal 2003 Margiela sein?
Annette: „Ich habe ganz oft alte Sachen dabei. Unlängst hatte ich eine rote Helmut Lang-Hose aus Satin dabei. Das sah so hot aus! Aber es ist komischer Weise so, dass die Streetstyle-Fotografen das nicht fotografieren. Und Du selbst fühlst Dich nicht gut darin. Ich habe festgestellt, wenn Du einen guten Designer trägst, dann hebt das Dein Selbstbewusstsein. Es ist sch****, dass ich das jetzt so sage, aber es ist so. Weißt Du, in Prada fühlst Du Dich wie Prada, und in Zara wie Zara.”
Selbst, wenn es besser aussieht?
Annette: „Selbst, wenn es besser aussieht! Und je älter Du wirst, desto mehr musst Du darauf achten. Das ist leider Gottes so.”
Oder, wenn Du einfach die Einstellung änderst?
Annette: „Ja, aber dann kannst Du nicht in der Mode arbeiten. Wenn ich jetzt 60 bin oder 50 und nur Zara trage, dann ist das ganz nett für die Hausfrau, aber ich werde im Leben nicht einen Auftrag kriegen. Warum auch?”
Photo Credit: Catwalkpictures
Modepilot ist Deutschlands erster Modeblog. Mit seiner Gründung in 2007 war und ist er Vorreiter der unabhängigen Mode-Berichterstattung. Noch heute wird die Seite leidenschaftlich von Mitgründerin Kathrin Bierling geführt. Sie ist eine ausgebildete und erfahrene Journalistin, die zunächst bei der Financial Times lernte und arbeitete und dann einige Jahre bei der WirtschaftsWoche beschäftigt war, bevor sie die Seiten Harpersbazaar.de, Elle.de und InStyle.de verantwortete. An Modepilot liebt sie, dass sie die Seite immer wieder neu erfinden muss, um am Puls der Zeit zu bleiben. Worin sie und ihre Autoren sich stets treu bleiben: Den Leser ernst nehmen, nicht sich selbst.

Kommentare

  • StephKat sagt:

    Krass. Das klingt extrem anstrengend, und immerhin ist es Annette Weber! So schade, dass sie nicht lieber nur Texte schreiben kann. Ich würde sie alle lesen und ich verstehe das so gut, aber wir sind ja auch in einem ähnlichen Alter. Die Instyle war zu Annettes Zeiten meine Bibel, aber inzwischen kaufe ich sie gar nicht mehr.
    Ich verstehe ja diesen ganzen Influencer Mist sowieso nicht. Hat mich insbesondere genervt, als ich noch versucht habe, in der Branche was zu werden. Dass man denen Ware in den Rachen werfen soll und dass die sich so wichtig nehmen. Ätzend. Inzwischen habe ich Instagram vom Handy gelöscht, bin froh, dass ich meinen Spießerberuf wieder ausüben kann und " was Vernünftiges gelernt" habe. Ich kriege schon Pickel, wenn ich das Wort Influencer nur höre. Sollte man zum Unwort des Jahres erklären.
    Wo führt uns das bloß alles hin? und wann BITTE hört dieser Oversize Trend endlich auf? Gehen jetzt im Sommer alle in Männeranzügen auf die Straße? Treten die mit den Sneakern sich dann gegenseitig alle auf die Hosen? Fragen über Fragen.
  • Hannes sagt:

    Wenn etwas schlechte Energie ausstrahlt, dann dieses Interview. Ich möchte niemandem zu Nahe treten, aber Ich empfinde Frau Weber als frustriert und vollkommen abgehoben. Ich bin wirklich sprachlos.
  • Chris sagt:

    Ich mag Frau Weber sehr. Vor allem weil sie immer so ehrlich und direkt alles sagt.

    Viktoria Räder oder auch Caro Daur find ich nur affig.....sie können noch nicht mal richtig English , bloggen aber in „was Sie meinen, dass es Englisch wäre“!

    Frau Rader ist einfach nur eine blode Nuss, die froh sein kann, dass sie nicht richtig arbeiten muss.


  • Angi sagt:

    Genau das ist der Grund, warum ich anfangs als Make-up Artist, 1991, recht schnell entschieden habe, dass dieses Modegedöns nichts ist für mich. Dauergeile Fotografen, überdrehte Stylisten, die dich entsetzt und angeekelt anschauen, wenn du die Trends von übermorgen nicht drauf hast... Minderjährige Models, die sich begrapschen lassen müssen. Schnell gewechselt zu Fernsehen und Film Viel witziger, wirklich coole Leute, auch mehr Sinn im Tun bei manchen Formaten. Bis dann die ganzen Scripted Reality-Formate kamen. Seitdem ist TV genauso hohl. Und wird mit Praktikanten und ohne Ahnung fabriziert. Grauenvoll. Ich bin aus dieser mal so kreativen Branche raus und wieder brav im erlernten Beruf. Mit Ausflügen in die schreibende Branche als Beautyredakteurin bei der Ecoenvie. Übriggeblieben sind Bloggen und Instagrammen, da tobe ich meine Kreativität jetzt aus. Aber Ü40 ist keine relevante Zielgruppe im Beautybereich, schon gar nicht auf Deutsch. Aber das macht noch Spaß und ich kann mit Fachwissen Menschen glücklich machen.
    Sich wegen ein paar bunter Fetzen für den Nabel der Welt zu halten ist schlicht idiotisch. Diese aufgeblasene Branche ist durch.
  • Carla sagt:

    Je mehr ich gelesen habe, je mehr habe ich mich gefragt, warum ich das tue. Eine derart unsympahtische Art, die die Frau Weber da an den Tag legt...
  • Flofi sagt:

    Einer der besten Modepilot Artikel der letzten Jahre! Zumindest ist Annette Weber reflektiert und ehrlich - man frägt sich aber, wieso sie sich das immer noch antut. Und dazu zählt auch die Koop mit „Viky and the Shit“ Rader. Sehr wahrscheinlich hat sie ihr jetzt einfach mal in ihrer unbeschwerten Art das gesagt, was sich jeder durchschnittlich sozialisierte Mensch auf Dauer bei diesem „Hi guys, thank you for having me“ Müll denkt.