Die Cashmere-Chirurgin
Cashmere reparieren. Meine Strickjacke hätte nicht einmal mehr als Lumpen getaugt, so zerlöchert wie sie war. Ich hätte sie ausmisten sollen, aber konnte mich nicht von ihr trennen. Dilek Can, die Bekleidungstechnikerin aus der Schweiz, hat wieder ein Schmuckstück daraus gemacht.
Die Cashmere-Marke Allude hat einen Reparaturservice, die so genannte 'Cashmere Clinic'. Sie folgte 2015 auf das Konzept des markenunabhängugen Reparatur- und Pflegeangebots 'Cashmere Doc'. Seit Eröffnung ist auch Dilek Can, die gelernte Bekleidungstechnikerin und Modellmacherin aus der Schweiz dabei. Eigentlich wollte sie nur kurz in Deutschland bleiben, aber sie ist unentbehrlich.
Die Perfektionistin
Über 600 Cashmere und Cashmere/Seide-Garne hat Can bereits aus den Allude-Produktionsstätten abgezweigt, damit sie hier möglichst farbgetreu arbeiten kann. Manchmal mischt sie auch zwei Garne, um den richtigen Farbton zu treffen. Grau sei dabei die schwierigste und gleichzeitig auch meist verbreitetste Farbe bei Cashmereware. Vor allem, wenn Kunden Pullover von anderen Marken mitbringen, kann es knifflig werden. So geht sind die Graunuancen bei Malo beispielsweise gelbstichiger als bei Allude.
Meine Wickeljacke ist grün und stammt von Allude. Allerdings ist sie schon sehr alt. Doch ich habe Glück und das Moosgrün steht in Cans Regal. Allerdings muss das Garn erst einmal aufgedampft werden, damit das Garnvolumen erreicht wird, das damals für die Jacke verwendet wurde. Can ist eine Perfektionistin.
In der Notaufnahme
Noch bevor Can das Garn prepariert, wird das zu behandelnde Kleidungsstück auf jedes noch so kleine Löchlein hin geprüft. Dafür gibt es extra einen Leuchtarm und einen Leuchttorso, den Can aus der Annahme-Theke ziehen kann. Streift sie den Ärmel über den Leuchtarm, sind sofort alle zu stopfenden Stellen gut sichtbar. Mit roten Aufklebern werden die Stellen markiert und auf einem Notizblock notiert.
Jedes Loch wird dabei berechnet. Während der Durchschnittkunde hier 17 bis 80 Euro pro Besuch lässt, meist einfach nur für die Reinigung mehrerer Teile, würde die Reparatur eines Pflegefalls wie meinem um die 300 Euro kosten.
Im OP
Aktuell arbeitet Dilek Can auch an den Feiertagen, die Warteliste reicht bis Weihnachten. Aber sie mag es, sich in Ruhe den größeren Reparaturen widmen zu können, sagt sie.
Mit der Genauigkeit eines Chirurgs fädelt sie das aufgedampfte Cashmere-Garn unter der Vergrößerungslampe ein: „Zuerst stecke ich die noch sicheren Maschenköpfe mit Stecknadeln fest, damit ich die Reihen darauf aufbauen kann.” Narben gibt es bei Can keine. Auch auf der Rückseite sieht man nicht einmal ein Knötchen. Ich finde das faszinierend!
Typische Cashmere-Kunden und die coole, nächste Generation
Während ich ihr über die Schulter schaue, erzählt sie von vier Jahren Erfahrung mit Cashmere-Kunden. Es gebe da große Unterschiede zwischen der jungen und der älteren Kundschaft, was z.B. die Farben betrifft. Während 16- bis 60-Jährige nach wie vor das klassische Dunkelblau, Grau oder Schwarz vorbei bringen. Sind die Lieblingsteile von den Älteren auffällig oft knallfarbig: Neonpink oder Gelb mit Strasssteinen.
16- bis 25-Jährige bringen Pullover ihrer Väter und Großväter vorbei, um sie auftragen zu können. Egal, ob Frau oder Mann, sie tragen gern zu große Pullover in klassischer Farbe, uni, und mit Rundhals. Das Interesse an den guten, alten Dingen steige besonders bei Teenagern, beobachtet Can. Was für eine schöne Entwicklung!
Fluffig, ebenmäßig, weich, wie neu!
Cashmere Pflegetipps: Nach circa jedem fünten Mal Tragen, empfiehlt Can, Cashmere-Sachen zu waschen. Denn das fachgerechte Waschen (im Wollwaschgang und lieber nicht mit der Hand, wegen der Gefahr der Verformung durchs Wringen) mit einem eiweißhaltigen Spezialwaschmittel pflegt die Fasern und macht das Kleidungsstück länger haltbar. Anschließend aufdämpfen (nicht bügeln): Das richtet die Fasern auf und hilft z.B. auch bei ausgeleierten Bündchen.
Viele von Cans Kunden bringen auch einfach nur ihre gesammelte Cashmere-Wäsche zum Waschen und Entpillen vorbei. Dafür stehen in der Cashmere Clinic mehrere Miele-Waschmaschinen bereit und Regale, auf denen die Cashmereware fachgerecht im Liegen getrocknet wird.
Am Samstagabend sagte mein guter Freund Philipp beim Abendessen, dass sich ein Cashmere-Pullover doch mit jedem Jahr besser anfühle. Auch er hatte – zufälliger Weise – die Tage einen Pullover bei der Cashmere Clinic abgeholt. Er holte die Tüte, zog den Pullover raus und strich darüber: Neu könne man so ein Gefühl gar nicht erwerben, sagte er. Ich weiß jetzt, was er meint. Und nachhaltiger ist es auch: kein weiterer Ressourcenverbrauch.
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Photo Credit: Modepilot
Kommentare
Liebe Lilly, ja, ganz richtig: Du kannst deine Teile auch nach München per Post schicken.
Liebe Grüße, Kathrin
Mich berührt die Wertschätzung, die sie dem wertvollen Material entgegenbringt, und habe gerade im Hinterkopf, dass ich einen geliebten, aber alten Pullover aus Merionwolle (von einem Tauschmarkt! <3) habe. Für den sollte ich wohl auch mal so ein "Wellness-Service" in Österreich suchen.
Schreibst Du uns, wenn Du in Österreich so einen Service gefunden hast? Am besten hier in der Kommentarfunktion, das wäre lieb!
Danke und liebe Grüße,
Kathrin
Grüße Alisa