Ein starker Jahrgang
Die Abschlussklasse 2015
Best Graduate Show Düsseldorf. Gestern Abend zeigten die besten Modedesignabsolventen 2015 aller AMD Standorte ihre Abschlusskollektion zum Auftakt der Modemesse "Platform Fashion": jeweils drei Jahrgangsbeste aus Berlin, Düsseldorf, Hamburg und München plus Jan Tepe, ein Absolvent aus dem vergangenen Jahr in Hamburg. Er wurde mittlerweile an der Central Saint Martins University für den MA Fashion zugelassen. Eine vierköpfige Jury, darunter ich, kürte einen Gesamtsieger.
Die Jury bestand außerdem aus Christel Wickerath (Moderedakteurin bei der TextilWirtschaft), Matthew Thomas (Creative Lead bei Zalandos ZLabels für Herrenmode) und Asem Chaudhary (Geschäftsleiter des Modelabels Tigha).
Vor der Show gingen Christel und ich backstage auf Tuchfühlung mit den Kollektionen. Wir waren überrascht, wie akkurat diese verarbeitet sind. In Sachen Material und Verarbeitung standen sich die Kollektionen in kaum etwas nach. Das ist so ungewöhnlich wie erfreulich. Sahen wir beide doch in den vergangenen Jahren viel zu viele Jungdesigner, die diese wesentlichen Merkmale vernachlässigen. Aber wir bekamen, wohl bemerkt, schon eine Vorausauswahl präsentiert, noch mal: nur die jeweils besten drei aus den vier AMD Standorten.
Zu Beginn der um 20 Uhr startenden Show nahmen wir vier Jury-Mitglieder Klemmbretter in die Hand. Darauf: 13 Bewertungsbögen – für jede Kollektion einen. Im Halbdunkel machten wir uns schnell schlau, welche Kreuzchen wir während der Show zu setzen haben. Die Bewertung fand in drei Kategorien statt. Kurz gesagt: Vision, Ausarbeitung und Präsentation. Das erforderte viel Konzentration, brachte aber auch viel Spaß. Und, hey, spicken war nicht.
Da die Show mit Jan Tepe begann, hing die Messlatte gleich sehr hoch für alle weiteren Kollektionen: Tepe nähte zum Beispiel 200 kleine Lederteile zu einem hautengen Allover-Anzug für den Mann zusammen (Fuß und Zehen inbegriffen!). Auf dem Anzug waren Muskelstränge nachgezeichnet und handgearbeitete Organza machte die Schultern breit und mit der stacheliger Struktur bedrohlich – wie das Power-dressing der Achtzigerjahre, nur als Kunstform. Dennoch konnte ich auch für weitere Kollektionen Bestnoten vergeben. So war unter anderem auch die Kollektion "Grotesk!" von Elisabeth Jung absolut rund, hatte tolle, neue Ideen und war so unterhaltsam, dass man sich Jung bei Moschino wünscht. Chen Jerusalem hätte ich sofort als Chefdesigner für ein bekanntes Luxuslabel eingestellt – eines, bei dem ich auch kaufe. Er hat die Gabe, den Sinn, die Fähigkeit mit allen Elementen zu spielen, sodass ein stimmiges, neues Gesamtbild entsteht. Er hat sich, was Farben und Mixturen angeht, am weitesten aus dem Fenster gelehnt. Warum? Weil er es kann! Heute erfuhr ich, dass er als einer von fünf weltweit an der Akademie (ArtEZ) in Arnheim angenommen wurde. Dort, wo auch das Designerduo Viktor & Rolf seine Ausbildung genoss.
Wie unsere Formulare letztendlich auswertet werden konnten, ist mir schleierhaft – im besten Sinne! Denn allein mit meinen vergebenen Bestnoten wäre ich am Ende überfordert gewesen. Schlussendlich konnten wir mit dem Gewinnerpaar Lena Anders und Judith Pollmann alle sehr gut leben. Sie bekamen von der AMD (Akademie für Mode & Design) Blumensträuße und von Juliane Krüger im Namen von Zalandos ZLabels 5000 Euro überreicht.
Anders und Pollmann zeigten höchste Schneiderkunst und die vielen kleinen, sauberst verarbeiteten Elemente schrieen nach sehr vielen Arbeitsstunden, auch halbiert (der Fairness halber – sie waren immerhin zu zweit). Das Ergebnis zeugte von größter Hingabe, Kreativität und Eifer – das ist es, worauf es am Ende ankommt. Lena Anders war zuvor bei Adidas und Judith Pollmann bei Augustin Teboul. Beide gehen voraussichtlich zurück zu diesen Marken. Und, wenn man diese Vorgeschichte kennt, dann erklärt sich ihre Kollektion "La Folie", wie von selbst: man nehme die feingliedrige Häkelarbeit von Augustin Teboul und paare diese mit sportivem Streetstyle und Haute Couture. Klingt nach Wahnwitz? Das sollte es, wie der Kollektionsname schon sagte, auch sein.
Die Gewinnerkollektion "La Folie" von Lena Anders und Judith Pollmann
Ich wurde auf der Bühne, dem Catwalk, zum Thema Modenachwuchs-Förderung befragt und ich weiß vor Aufregung nicht mehr, was ich antwortete, aber ich weiß, was ich antworten wollte. Nämlich, dass ich es wichtig finde, den Nachwuchs zu beobachten, da dieser – noch unbeeinflusst von der Industrie – im besten Fall näher am Zeitgeist ist und dem, was wir morgen empfinden und tragen möchten. Visionen junger Designer halten unsere Branche am Ball, aber auch die Visionen junger Einkäufer und junger Journalisten. Vom Fördern des Förderns wegen halte ich hindes nur bedingt etwas, da den jungen Designern wenig geholfen ist, wenn wir sie aus Gutmenschentum-Gründen fördern. Letztlich muss der Händler mit ihnen seinen Kunden binden, der Investor sein Geld vermehren und der Journalist seine Leser fesseln. Letzteres ist mir hoffentlich – zumindest bis hierhin – gelungen.
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Photo Credit: Gregor Kaluza, Jenny Schweber für Chen Jerusalem, Anna-Lena Ehlers für Elisabeth Jung
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