Die Modepilot-Weihnachtsgeschichte
Er verschickt untertags 1000-Euro-Schuhe und besucht abends alte Menschen im Altersheim oder passt auf die Kinder alleinerziehender Eltern auf, die sich keinen Babysitter leisten können. Hier ist seine unglaubliche Geschichte, die beweist, dass in der Mode nicht nur Hedonisten und Egozentriker arbeiten, sondern auch Leute mit Herz und gesellschaftlicher Verantwortung. Und die kommen gut an: sie leisten viel und das auf einfühlsame Weise – so macht man Karriere. Im besten Fall.
Wie Markus Schnieber in der Mode FuĂź fasst und Gutes tut
Vor zwei Wochen treffe ich Alja Tabache, die Geschäftsführerin der PR-Agentur Schoeller & von Rehlingen in München (z.B. Etro, Ferragamo). Wir sprechen von 1000-Euro-Schuhen, aber an diesem Tag sollte ich zum ersten Mal von Markus Schnieber erfahren. Es sei unglaublich, erzählt Alja, was dieser Praktikant alles leisten würde. Mal abgesehen davon, dass der 22-Jährige seine Arbeit so gut mache, dass sie ihn nach seinem Studium sofort einstellen möchte, er backe auch für die Kinder und alte, einsame Menschen. Alja und ich sind fassungslos wie man das alles schafft.
Ich möchte diesen Mann kennenlernen. Wir verabreden uns und er erzählt mir seine Geschichte.
Es war einmal...
Markus Schnieber interessierte sich schon immer für Mode – nicht für sich selbst, sondern für andere. Als Kind legt er seiner Mutter Kleidungsstücke aus dem Schrank heraus, die sie doch bitte in der vorgeschlagenen Kombination tragen möge. Dann macht er Fotos davon, druckt diese aus und stylt noch einmal um. Mit 15 Jahren hält er die InStyle September-Ausgabe 2008 in der Hand: Redakteure stylen für andere. Da beginnt seine Leidenschaft für Modemagazine. Das Grundschullehramt mit den Fächern Erdkunde und Deutsch bleibt zunächst aber sein Berufswunsch. Später, nach dem Abitur, kann er sich für kein Studium entscheiden. Er hat die Qual der Wahl: auf alle seine Studienplatz-Bewerbungen bekommt er eine Zusage. Er bittet seine Mutter um Rat. Sie sagt: Geh doch in dein Zimmer und überlege in aller Ruhe, was dir am meisten Freude bereiten würde.
Schnieber sieht in seinem Zimmer all die Modemagazin-Seiten an seiner Wand hängen: Dort zu arbeiten, das wäre es! Er besucht Infoabende der AMD (Akademie für Mode und Design), wo unter anderem die Studiengänge Mode-Journalismus und Mode-Management angeboten werden. Die Dozenten beeindrucken ihn. Die Mitbewerberinnen nicht. Bei einem Stuhlrücken beschwert sich eine Dame, dass man doch auf ihre "L-A-N-V-I-N"-Handtasche besser Acht geben solle. Mode erscheint ihm hier als etwas, für das man sich nicht uneigennützig begeistert, sondern worauf man sich etwas einbilden kann. Die jungen Damen sehen alle gleich aus.
Sein zweiter Versuch fĂĽhrt in an die Mediadesign Hochschule, wo ebenfalls Mode-Management angeboten wird. Dort trifft er auf einen bunt gemischten Haufen Interessierter. Jeder hat eine andere Vorstellung von Mode. Tennissocken werden hier auch mal kniehoch getragen. Das taugt ihm, hier meldet er sich fĂĽr das Studium Mode-Management an. Â
2012 entflammt sein Herz mit der Oktoberausgabe für das Modemagazin Elle. Chefredakteurin Sabine Nedelchev schreibt dort in ihrem Editorial über Neid, erinnert er sich. Wie es sich anfühle, wenn man beispielsweise samstags über die Maximilianstraße laufe mit butterweichem Leder in der Hand, auf das man so lange hat warten müssen. Nedelchev erwähnt in diesem Zusammenhang Fürstin Gracia Patricia – Schnieber errät den Kelly-bag (benannt nach Grace Kelly/Gracia Patricia) und ist stolz auf sein Modewissen. Er kann das Editorial heute noch fast wortgenau wiedergeben und erzählt weiter: "Und dann biegt eine um die Ecke, die das Kroko-Modell trägt – freut man sich oder ärgert man sich dann?" Schnieber fühlt sich berührt von Nedelchevs Worten und bewirbt sich bei seiner neuen Bibel.
Dass man gerade keinen Praktikumsplatz zu vergeben habe, kann er nicht akzeptieren. Er schickt erneut Bewerbungen, Faxe und e-Mails. Eineinhalb Jahre lang, fast täglich. Er bewirbt sich auch bei der Zeitschrift BUNTE, um in den "Turm" des Burda-Verlags zu gelangen, wo auch Elle und InStyle entstehen. Wieder eine Absage. Bei der Elle bittet er mittlerweile darum, wenigstens einen Tag lang reinkommen zu dürfen. Irgendwann bietet man ihm ein vierwöchiges Praktikum an. Ob er auch kurzfristig könne? Ja, er kann. Seine Prüfungsarbeiten an der Mediadesign Hochschule verschiebt er.
An seinem ersten Tag bei der Elle kommt Kathrin Seidel, die Modechefin, vorbei. Schnieber flĂĽstert leise und voller Hochachtung "Frau Seidel". Frau Seidel sagt: "Ich bin die Kathrin." Und dann bittet sie ihn die Tesastreifen-Reste von der Wand zu nehmen. Seine erste Aufgabe.
Schnieber fühlt sich pudelwohl im Team, möchte abends gar nicht nach Hause gehen. Kathrin muss ihn regelrecht nach Hause schicken. Nach den ersten Wochen möchte sie ihn aber eigentlich gar nicht mehr gehen lassen. Das Praktikum wird auf sechs Wochen verlängert. Im Januar 2016 wird er ein dreimonatiges Praktikum dort antreten.
Schniebers Augen leuchten. Manchmal kann er es gar nicht fassen, wenn er mit Alja gemeinsam nach der Arbeit zur U-Bahn Station läuft oder Andrea Schoeller beim Arbeiten in den Agenturräumen sieht. Über Schoeller & von Rehlingen las er einmal im Elle City Heft und bewunderte, wie die beiden, Andrea Schoeller und Alexandra von Rehlingen, ihren Traum der eigenen PR-Agentur wahr machten; wie sie das Konzept auf einer Papierserviette festhielten und dran festhielten und erfolgreich geworden sind.
Seine Begeisterung ist ansteckend. Er erzählt von Elle, BUNTE und Lanvin. Zwei- bis dreimal die Woche gehe er zu alten Menschen in Altersheime oder passe auf Kinder von Alleinerziehenden auf, damit die auch mal ausgehen können. Das spricht sich rum und sein Netzwerk interessierter Alleinerziehender, denen das Geld für Babysitter fehlt, wird immer größer. Ist doch "easy"! Schnieber arbeitet dann im Wohnzimmer für sein Studium, während die Kinder schlafen. Das könne nun wirklich jeder machen.
Dauerhaft nur sechs Stunden Schlaf pro Nacht reichen vielleicht nicht jedem. Schnieber schon. Nur sonntags schlafe er viel länger. Und auch den Zucchinikuchen und die Schwarzbrottorte, die er seinen Schützlingen manchmal mitbringt, kann ihm keiner so schnell nachmachen. Die Rezepte hat er von zwei "bezaubernden" Damen bekommen: Marianne und Finnerl heißen sie. Sie arbeiten mit seiner Mutter zusammen, die beruflich Pflegeheime zertifiziert.
Und mit den alten Menschen lache er mehr als mit seinen Kommilitonen beim Ausgehen. Eierlikör gebe es auch jedes Mal. Da muss er laut lachen: Er mag dieses Getränk eigentlich gar nicht, aber die Geste ist schön. Es sei so interessant, was die Menschen ihm im Altersheim alles erzählen. Dieses Erfahrungswissen und der Humor! Manchmal bekommt er kaum noch Luft vor lauter Lachen. Sie reden so gern und so viel – wie er selbst auch. Schnieber grinst, seine Sätze finden kaum noch einen Punkt. Seine Erinnerungen purzeln durcheinander: die Kinder im Kindergarten, die er während seines sozialen Jahres kennenlernte und, die noch an ihren Träumen festhalten – etwas, das er bei Erwachsenen vermisst.
Wenn die vierjährige Marie im Kindergarten sagt: Sie müsse sich die Schuhe nicht binden können, weil sie eines Tages eh Prinzessin wird und Prinzessinnen so etwas nicht machen müssen, dann entgegnet Schnieber ihr, dass die Wahrscheinlichkeit sehr gering für sie ausfalle, eines Tages Prinzessin zu werden. Sie habe sich nämlich, so Schnieber zu Marie, eine ungünstige Zeitspanne ausgesucht: Die Prinzen (Schnieber kennt sie alle. Wenn die BUNTE das gewusst hätte!) seien nämlich alle viel zu alt für sie, wenn sie in das richtige Alter kommt… oder viel zu jung. Das sei aber auch wirklich das einzige Hindernis, sonst hätte er es Marie zugetraut. Er schneidet ihr auch das Brot, wenn sie sagt, dass der Koch, der das sonst für sie täte, heute frei hat.
Er möchte Kinder in ihren Träumen unterstützen. So wie er es erfahren durfte. Wenn er im März 2017 mit der Uni fertig sein wird und den Bachelor of Arts gemacht hat, dann kann er sich gut vorstellen, für Alja und Andrea zu arbeiten. Er ist dankbar für "das Glück", das ihm und seiner Familie widerfährt. Es bricht ihm das Herz, wenn er in einer Pausenbrotbox nur eine Scheibe Toastbrot sieht oder alte Menschen alleine sind und niemandem zum Reden haben. Seine Großeltern sind nie allein. Er findet, wenn man selbst soviel hat, dann kann man doch leicht etwas abgeben: Zeit, aber auch die 200 Euro die man vermutlich unnötiger Weise bei Zara lassen würde, wie er findet – für einen Mantel, den man gar nicht braucht. Dafür kann man eine Familie einen ganzen Monat lang glücklich machen.
Ihr möchtet euer Glück auch teilen? Dann meldet euch einfach bei Heimen oder Kindergärten in eurer Stadt und lasst euch beim zuständigen Sozialreferat oder Landratsamt vermitteln.
Newsletter
Photo Credit: Burberry, Modepilot
Kommentare