Kann Massenware mit Designermode mithalten?
Ich bin bekennender Materialfetischist. Für mich liegt der Unterschied zwischen High Fashion und Massenware in Stoffen und der Verarbeitung. Kleider von detailverliebten und perfektions-fanatischen Designern sind mein ewiges "Must-Have". Aus gutem Grund: Einmal in ein Kleid von Roland Mouret geschlüpft und man weiß: Lauter Zara-Anschaffungen kann man sich sparen – zugunsten des "real thing". Oder?
Mein Selbstversuch mit H&M
Heute kam eine H&M-Lieferung zu mir nach Hause, versandkostenfrei. Darin ein reduziertes Jacquard-Kleid in Dunkelblau. 19,99 Euro. Das gibt es noch in allen Größen: 32 bis 46. Ich zog das Kleid an und suchte gleich beim Anziehen nach Fehlern. In meinem Kopf hatte ich das Vorurteil: Es kann einfach nicht gut sein! Aber es sitzt. Zunächst einmal. Ich bin begeistert: Der Stoff, der Schnitt, die Verarbeitung ist nicht zu beanstanden. Hinten verschließt man das Kleid mit einem Steg (drei Häkchen) und einem Reißverschluss. Die drei Häkchen muss man allerdings vorab verschließen, denn ist das Kleid erst einmal übergestreift, besteht keine Chance, die Häkchen selbst zu verschließen. Und ich bin gelenkig! Man fragt sich, was die Häkchen da überhaupt sollen. Anders als bei vielen Billigkleidern sitzt die Taille auch bei meinen 1,75 m ungefähr dort, wo sie sitzen sollte. Ich schicke sicherheitshalber Fotos an meine Modejournalismus-Freundinnen und schreibe dazu: „Ratet mal…“
Isa ganz trocken via WhatsApp: „Es gibt ja bei Zara & Co. immer mal so Knallerteile. Das ist offenbar so eines.“ Glamours stellv. Chefredakteurin Julia Werner auch via WhatsApp: „Schön ist das, von wem? Ich komm nicht drauf!… Hammer!“
Klar, das mag ein Glückstreffer sein. Aber man fragt sich schon, wie ein Designer angesichts dieser Konkurrenz überleben soll. Stoffe, Schnitte, aufwendige Verarbeitung – das kann man heute in der Massenanfertigung günstig anbieten: Nicht zuletzt, weil es durch die hohe Stückzahl besser skaliert.
Das H&M-Kleid in der Qualitätskontrolle
Bei knapp 20 Euro sollte man eigentlich nicht meckern. Nur 20 Euro, die ungetragen im Schrank hängen bleiben, entsprechen nun mal einer Pasta, einer Rhabarberssaftschorle, einem Espresso und einem großen Eis bei mir unten im italienischen Restaurant. Drum darf ich die Wermutstropfen bei dem vermeintlichen Schnäppchen hier einmal auflisten:
1) Ich weiß nicht, wo die Baumwolle herkommt (das Kleid gehört nicht zur H&M Conscious Collection, ist dafür aber ein „Online Exclusive“) und ich weiß auch nicht, wer es gefertigt hat. An der Stelle muss man sagen: Die wenigsten Marken, auch nicht die Luxuslabels, gestalten ihre Produktionskette transparent. Mit bestem Gewissen kann man nur bei Marken kaufen, die eine komplette Transparenz bieten wie beispielsweise Hessnatur oder Honest by von Designer Bruno Pieters.
2) Die Farbvarianz, wie auf dem Produktfoto (ganz oben), entspricht nicht der Realität.
3) Das Material des Unterkleids/des Futterstoffes besteht aus 100 Prozent Polyester.
4) Während ich diesen Text hier schreibe, stülpt sich die schmale Stoffbahn des Oberteils, die ihr auf den Fotos auf Taillenhöhe seht, nach oben. Sie ragt etwas über den Rockteil und soll die Taillennaht verdecken, was an sich eine gute Idee ist. Nur leider dreht sich diese Abdeckung auch beim Herumlaufen von alleine auf links. Dann sieht man auch den weniger schönen Polyester-Futterstoff dahinter – nicht gut!
5) Passform. Kann sein, dass mir das Kleid in Größe 34 einen Ticken zu klein ist (deshalb stülpt sich die Taillennaht-Abdeckung hoch), aber in Größe in 36 ist es mir zu weit: An der Taille und am Oberkörper steht es dann wie ein Fremdkörper ab.
Mein Fazit zum H&M-Kleid
Ne, da schlüpfe ich doch lieber wieder in meine Kleider von Dior, Talbot Runhof, Roland Mouret oder Hessnatur. In denen kann ich mich bewegen, habe eine gute Taille und ein gutes Gewissen.
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Photo Credit: Modepilot, H&M
Kommentare
Liebe Katharina, kein Problem. Ich weiß ja, was Du meinst. Was das Dior-Kleid angeht: Ich erkenne zumindest an der Verarbeitung (z.B. daran wie das Futter vernäht ist oder wie Knöpfe bezogen sind), dass es sich um gut ausgebildete Schneider handeln muss, die dieses Kleid erstellt haben. Schneider, die auch ausreichend Zeit bekamen. Das ist doch schon mal was!
Liebe Grüße,
Kathrin
Liebe Kathrin, schreib doch wie Du Bruno Pieters mit Sachen aus dem Secondhand Landen kombinierst. Das fände ich sehr interessant und es wäre sicherlich auch inspirierend für viele andere. Es gibt immer genug Stoff!
Liebe Grüße, Kathrin
Allerdings werde ich immer ein bisschen schräg angeschaut, wenn ich meinen Lieblingsshop für die Kids erwähne oder ihn jemandem empfehle (falls es wen interessiert: http://www.nickis.com/ - weiß nicht, ob den jemand kennt, der ist auf Designermode für Kids spezialisiert. Aber Vorsicht: Akute Kaufrausch-Gefahr!). Da heißt es dann gleich: "Die wachsen doch so schnell raus. Das lohnt sich nicht! 80 Euro für ein T-Shirt?" etc. Aber ich setze für meine Kids einfach dieselben Maßstäbe an wie für mich, und das heißt zum Beispiel: Lieber etwas weniger kaufen und dafür dann "richtige" Sachen. Man merkt einfach einen Unterschied sowohl von der Verarbeitung als auch vom Design her. Ich finde es auch schön, wenn mein Kind nicht im Einheitslook mit allen anderen rumläuft.
Gerade dein Kleid von Talbot Runhof auf dem unteren Foto ist ein schönes Beispiel: Das ist was Außergewöhnliches, ein Hingucker, was mit Stil. Und hebt sich eben von der Masse ab.
Der Inhalt jedes Altkleidercontainers kann mit Designermode mithalten und dient ganz offensichtlich
als Quelle der Inspiration dafür.