Maria Grazia ohne Grazie
Es hätte so schön werden können. Gestern präsentierte Maria Grazia Chiuri ihr Debüt bei der Paris Fashion Week, als erste Frau an der Spitze von Dior. Dem ehrwürdigen Couture-Haus, dessen Gründer Christian Dior den Frauen die bis heute schönste Sanduhr-Silhouette, den New Look, schenkte. Und hatte so gleich ihren ersten "Instagram-Moment", einen Social Media Hype, weil sie ein T-Shirt mit der Aufschrift „We should all be feminists“ über den Laufsteg schickte.
Well, nennt mich Wutbürger, aber: Die Fem-Welle (die gut und wichtig ist!) zu reiten, wirkt nicht visionär, sondern berechnend. Noch dazu sehen die T-Shirts so aus, als hätte man sie schnell noch im Copy-Shop gedruckt. Damit die Botschaft der Kollektion deutlich wird, falls es irgendwie nicht so richtig hinhaut, die Entwürfe für sich selbst sprechen zu lassen. Auf die Idee kam Jeremy Scott bei Moschino auch schon ein paar Mal. So der Eindruck auf den ersten Blick, aber die Worte haben natürlich eine Geschichte: "We should all be feminist" ist der Titel eines einflussreichen Werks der nigerianischen Schriftstellerin Chimamanda Ngozi (die als Ehrengast in der Front Row saß), das vergangenes Jahr in Schweden an alle 16-Jährigen Schüler ausgegeben wurde. Effekthascherei oder ein kluger Weg, um als Modemacherin zu einer gesellschaftlich relevanten Debatte beizutragen? Ich habe neulich einen schönen Satz gelesen: Ein Film ist dann gut, wenn er deine Sichtweise verändert. Sollte Maria Grazia Chiuri mit dieser Kollektion ein ähnliches Ziel verfolgt haben, ist sie gescheitert. Zumindest bei mir. So dachte ich. Aber: Sie hat mich dazu bewegt, darüber zu schreiben, während mich 99 % der Kollektionen schlichtweg nicht interessierten. (Ja, ich weiß. Wir sind alle modemüde.)
Auch irritierend: Diese plumpen J'Adior und Marken-Schriftzüge auf den Trägern. Sind wir hier bei Calvin Klein in den Neunzigern? Maria, du hast das falsch verstanden. Raf Simons, dein Vorgänger, ist jetzt bei Calvin Klein. DU bist bei Dior.
Gelungen sind jene Entwürfe, die an ihre Zeit bei Valentino erinnern, mit Transparenzen, Stickereien und zarten Feen-Kleidern. Auch die Kombination aus Bar-Jacke, eine Reminiszenz an die Ikone von Christian Dior, und durchsichtigem Tutu à la Carrie Bradshaw überzeugt: „Ballet meets Boardroom“, beschrieb Eva Chen den Look treffend bei Instagram.
Ich habe die Stücke nicht angefasst, ich war nicht bei der Show. Meist kann man Mode im Livestream genauso gut beurteilen, wie aus der Front Row (vermutlich sogar besser, da muss man ja dauernd Fotos machen), aber es gibt Ausnahmen. Manche Kollektion begreift man nur richtig im Kontext der Stimmung (Musik, Location, Ausstrahlung) oder im Showroom beim Re-See. Und vermutlich ist eine Catwalk-Show, die Emotionen weckt, und sei es Ärger, sehr viel besser als eine, die mich kalt lässt. Aber wenn das die Dio(R)evolution (noch so ein Motto-Shirt) sein soll, dann bin ich mir noch nicht sicher, ob ich ein Teil davon sein möchte. Zumindest modisch.
Dior: Ein Auszug der Debüt-Kollektion von Maria Grazia Chiuri
Da haben Lucie Meier and Serge Ruffieux aus dem Designteam, die die undankbare Aufgabe als Lückenbüßer für die Haute Couture-Kollektion im Juli vor Chiuris Antritt erfüllen mussten, einen viel besseren Job gemacht. Ein schwingender Saum, Taillenbetonung – es mag reaktionär sein, aber ein schönes Kleid „empowered“ mich mehr als T-Shirts mit Parolen.
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Photo Credit: Catwalkpictures
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