Muss, soll, kann, darf die Mode politisch sein?
Wir haben bei Modepilot einige Prinzipien, an denen nicht zu rütteln ist. Eines davon lautet zum Beispiel: Schuster, bleib' bei deinen Leisten. Weil wir kein Nachrichtenmedium, sondern ein Modeblog sind, haben wir weltpolitische Themen nicht aufgegriffen. Das ist uns als Journalistinnen, besonders mit Wahl-Pariserin Barbara im Team, die keine zwei Kilometer vom Bataclan entfernt lebt, nicht leicht gefallen, aber es war eine Entscheidung auf Basis unserer Kompetenzen.
Die Welt ist eine andere
Als eine Freundin Anfang letzen Jahres sagte, wie man das eben so sagt: „Ich weiß nicht, ob man in diese Welt Kinder setzen solle“, da hab ich ihr vehement widersprochen und über Nazideutschland und den Kalten Krieg lamentiert. Und nun ist 2017 und die Welt eine andere: #Brexit, #Muslimban, #Parisattacks, #prayforxy, Klimawandel, Übervölkerung: Stephen Hawking schrieb in einem Essay für "The Guardian" vom "gefährlichsten Zeitpunkt der Menschheitsgeschichte".
Ich sitze mit zwei Münchnerinnen, davon eine seit Kurzem wohnhaft in Kopenhagen, zusammen bei einer asiatischen Nudelsuppe "Ramen-bowl". Wir reden über die Modebranche, Liebeskummer, gemeinsame Freunde und 90er-Jahre Musik. Und irgendwann landen wir bei Trump, Rassismus, Demokratie. Ich sitze in Kopenhagen mit einer asiatischen Wahl-New Yorkerin im Bus, auf dem Rückweg von der Show des dänischen Labels Ganni. Sie arbeitet als Einkäuferin für verschiedene Stores. Ich frage sie nach den Trends und Stimmungen und wir landen bei Trump, ihrer Sorge vor wirtschaftlichen Folgen und ihrer ganz persönlichen Angst.
Wir sind auf dem Weg zur Lala Berlin Show von Leyla Piedayesh, einer gebürtigen Perserin, deren Familie nach der islamischen Revolution 1979 den Iran verlassen hat, die in Berlin lebt und ihre Kollektion in Kopenhagen vorstellt. Als Leyla nach der Show vor ihre Models tritt und ein Schuld hochhält mit den Worten „I’m an immigrant“, da blieb mir kurz das Herz stehen. Nicht weil ich glaubte, dass es die Welt verändern wird. Sondern weil es Hoffnung gibt. Dass es besser werden kann. Und vor allem: Dass man das alles nicht alleine durchstehen muss. Oder wie Bernie Sanders es bei Twitter ausdrückt: „President Trump, you made a big mistake. By trying to divide us up by race, religion, gender and nationality you actually brought us closer.“
Lala Berlin Herbst/Winter 2017/18: Think, Change, Revolution
Man kann der Modewelt Vieles vorwerfen und sie wird oft als elitärer, abgeschirmter Zirkel wahrgenommen. Aber sie ist nicht homophob und sie ist ein Nährboden für Quereinsteiger, auch ohne akademischen Lebenslauf. Und Leyla Piedayesh ist nicht die einzige deutsche Modemacherin, die ihre Stimme erhebt. Das Münchner Label Talbot Runhof, das auch in Russland kaufkräftige Kundinnen hat, setzte bereits 2014 ein Statement gegen die Politik von Wladimir Putin (Wir berichteten>>>), und auch für die kommende Wintersaison kommentierte das Designer-Duo Adrian Runhof und Johnny Talbot die US-Wahlen, z.B. indem sie den Stimmenvorsprung von Hillary Clinton beim „popular vote“ mit türkisfarbenen Schmucksteinen aufnähten.
Ein von Kathrin Bierling (@modepilot_kathrin) gepostetes Foto am
„Das bringt doch nichts“, sagt mancher hämisch über solche Statements. „Das ist jetzt irgendwie trendy“, konnte man kritisch über die Protestierenden „Pussy hats“, mit den pinken Katzenmützen, beim Womensmarch lesen. Ist Politik nun ein Lifestyle-Thema geworden? Und wenn ja: Ist das schlimm? Bagatellisiert es ein Thema, verhöhnt es politische Aktivitäten?
Es kann sein, dass hinter mancher Aussage nicht nur Überzeugung, sondern auch kluges Marketing steckt: "Stimmenfang" nennt man das auf politischer Ebene. Das Gefühl hatte bei mir auch das T-Shirt mit "We should all be feminists"-Schriftzug bei dem Dior-Debüt von Maria Grazia Chiuri erweckt. Doch ist stummes Einverständnis ja nun auch keine Option.
Man hat meiner Generation, der Generation Y, immer vorgeworfen, total unpolitisch und angepasst zu sein. Stimmt ja auch. Wir haben uns nie für Demokratie eingesetzt, weil wir es echt nicht für möglich gehalten haben, dass sie irgendwie in Gefahr sein könnte. „I have do do it!“, winkte Leyla Piedayesh backstage nach der Show ab, als andere ihr zu ihrem mutigen Statement applaudieren. Und ja: Man muss Stellung beziehen. Denn was die Welt gerade in Atem hält, ist nicht mehr nur eine Frage der Politik, sondern der Moral.
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Photo Credit: Lala Berlin
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