Neues vom Beauty Pro: Porentief nachgefragt
Nobelpreis Kosmetik
Nobelpreis Kosmetik. Was folgt auf die Cremes und Seren von Dermatologen? Die neue Generation an Pflegeprodukten ist noch eine Etage höher angesiedelt, nämlich direkt in den Laboratorien renommierter Wissenschaftler. Sogar Nobelpreisträger sind darunter, die ihr Wissen und ihre Forschungsarbeit in den Dienst unserer Haut stellen.
Für uns Normal-Sterbliche besitzt Kosmetik einen Fun-Faktor. Der Umgang mit einem schönen Produkt macht Spaß und erhöht das Wohlbefinden. Dagegen ist die Arbeit hinter den Kulissen, wo die Formeln und Texturen entstehen, etwas Ernsthaftes und immer öfter hoch wissenschaftlich.
Hat man früher Cremes einfach nach dem O/W(Öl-in-Wasser)- oder W/O (Wasser-in-Öl)-Prinzip zusammengemixt, ist heute das Procedere hoch komplex. Bis ein neues Produkt marktreif ist, können bis zu fünf Jahre vergehen mit einem Heer von Wissenschaftlern. Jede Gruppe hat dabei ihr eigenes Aufgabenfeld: Die einen arbeiten an der Synthese der aktiven Moleküle, andere sind für die Formel des Produkts verantwortlich, wieder andere für Sicherheits- und Wirksamkeitsbewertungen. Dabei entwickelt die Kosmetikindustrie nicht nur neue Produkte aus den eigenen Forschungsreihen heraus, sondern nutzt auch wissenschaftliche Erkenntnisse aus der Nobel-Preis-Etage.
Chemie-Preisträger macht in Beauty
Der Nobelpreis für das Fach Chemie ging 2016 an Sir James Fraser Stoddart und seine Mitstreiter, den Franzosen Jean-Pierre Sauvage und den Niederländer Bernard L. Feringa. Die drei entwickelten das Design und die Synthese für „molekulare Maschinen“. Diese Moleküle funktionieren wie submikroskopisch kleine künstliche Muskeln oder Motoren. Dabei sind sie tausend Mal dünner als ein menschliches Haar. Man könnte es als eine Art Werkzeugkasten bezeichnen, mit dessen Hilfe Forscher Strukturen erschaffen können, beispielsweise einen winzigen Roboter, der Aminosäuren verbinden kann.
Stoddart, in Schottland geboren und Professor of Chemistry an der Northwestern University in Illinois, bringt seit 2019 sein Wissen in eine eigene Hautpflege ein. Dazu gründete er zusammen mit Youssry Botros, 16 Jahre Nano-Technologie-Forschungsdirektor beim Chip-Hersteller Intel, die Firma PanaceaNano. Die Pflege-Line Noble Panacea, was wenig bescheiden „Edles Allheilmittel“ bedeutet, basiert zwar nicht auf den Nobelpreis geehrten „Molekular-Maschinen“, sondern auf Nano-Cubes.
Nobelpreis Kosmetik: Transportmittel für Wirkstoffe
Stoddarts sogenannte OMV-Technologie (Organic Molecular Vessel) besteht aus winzigen Partikeln, die als Transportmittel für Wirkstoffe dienen. „Diese OMVs sind rund 10.000-mal kleiner als Hautzellen, können also in diese eindringen und dort die Wirkstoffe abgeben“, erklärt Fraser Stoddart. „Und zwar rund zehnmal langsamer als die durchschnittliche auf dem Markt erhältliche Kosmetik.“ Was dann bei Noble Panacea in den winzigen Molekular-Transportern die Reise in die Zellen antritt, sind gute Bekannte aus dem Anti-aging-Segment.
In der Einsteiger-Linie „The Brilliant“ sind es die Retinol-Alternative Bakuchiol, Glykolsäure, Brauner Seetang, Malachit und Probiotika. Und in der Linie „The Absolute“ für reifere Haut unter anderem Retinol, Coenzym Q10, Argireline, Peptide und Goji-Beere sowie wertvolle Öle.
Die Innovation ist jedoch nicht der Inhalt der OMVs, sondern ihr Wirkprofil. Sie sind so programmiert, dass die Aktivstoffe punktgenau ihre Aufgaben erfüllen und maximal von der Haut an der richtigen Stelle aufgenommen werden. Dadurch können sie bis zu 35 Prozent tiefer in die Hautschichten eindringen und effizienter arbeiten. Dabei legt die Firma Wert auf „grüne“ Chemie: frei von Parabenen, Silikonen, Mineralöl, Duftstoffen und Inhaltsstoffen tierischen Ursprungs. Bei der Verpackung ist Nachhaltigkeit angesagt durch erneuerbare und recyclefähige Materialien. Stoddard sagt: „Es ist ein spannender Moment, an der Entstehung eines kommerziellen Produkts beteiligt zu sein, das basierend auf erneuerbaren, organischen, abbaubaren funktionellen Materialen die Lebensqualität der Menschen verbessert.“
Mal hoch gerechnet: ganz schön teuer
Jedes Pflegeprodukt ist in einzelne Tagesdosen aufgeteilt, was sie vor Verunreinigung, Feuchtigkeit, Licht und Wärme schützt. Verpackt sind diese Sachets nicht etwa in schnöde Behälter, sondern in edle achteckige Schatullen. Gefertigt sind sie zwar aus Stärke und Naturfasern, trotzdem zu schade, um sie am Ende wegzuwerfen. Auch da hat man sich etwas einfallen lassen. Seit Anfang 2021 gibt es 30-Tage-Nachfüllpacks für jedes der acht Produkte. Einziger Nachteil der noblen Pflegelinie: Nicht jeder kann oder mag sie sich leisten. Allein für den Anti-Aging-Moisturizer muss man pro Jahr über 4.000 Euro bezahlen.
Heilsames Metall
Bei der englischen Brand Argentum Apothecary stellt sich die Frage nach Alchemie oder High Tech. Ich finde, sie hat ein wenig von beidem. Der Name Argentum – lateinisch für Silber – deutet auf den Hauptwirkstoff hin. Silber kannten schon die Incas und die alten Römer. Alchemisten versuchten wertlose Materialien in Silber zu veredeln. Die Chroniken für die medizinische Anwendung von Silber reicht ebenfalls bis in die Antike zurück. Schon damals galt das Edelmetall als antibaktieriell und antientzündlich. Hippocrates lehrte um 400 vor Christus seine Schüler die heilenden Eigenschaften von Silber. Kolloidales Silber wurde medizinisch bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts zur Infektionsbekämpfung eingesetzt, als wirksamere Mittel noch nicht zur Verfügung standen.
Auch Argentum verwendet ein Silberhydrsol (kolloidales Silber) für seine Naturkosmetik. Aber das ist noch nicht alles. Auch hier kommt ein Nobel-Preis ins Spiel. Der zweite aktive Inhaltsstoff nennt sich DNA HP (hyper polymerised deoxyribonucleic acid), ein Polymer, das aus Lachssperma gewonnen wird. Der Extraktionsprozess basiert auf der Arbeit von Francis Crick, James Watson und Maurice Wilkins. Sie wurden 1962 mit dem Nobelpreis für Medizin ausgezeichnet für ihre Entdeckung der Doppelhelix, der berühmten Struktur der DNA.
Punktgenaue Anlieferung
Argentum verwendet hocheffiziente DNA von pharmazeutischer Qualität. Das stellt sicher, dass die einzigartige 3D-Helixstruktur intakt bleibt. Ziel des Polymer ist es, die Feuchtigkeit direkt an den Interzellularraum der Haut zu liefern. Sein hohes Molekulargewicht ermöglicht eine optimale Hydratation, weil es das 10.000-fache seines Gewichts in Wasser trägt. Außerdem besitzt es antioxidative Eigenschaften, die freie Radikale bekämpfen, die die DNA in menschlichen Zellen zerstören, und damit zur Regeneration des Gewebes beitragen.
Verpackt sind die Produkte in tief violette, fast schwarze Glasbehältnisse – bester Lichtschutz für die zu 99,5 Prozent natürlichen Inhaltsstoffe. Aber das hat alles seinen Preis: Die „La Potion Infinie“ Anti-Age Cream kostet mit 70 ml 189 Euro. Zurück zur Alchemie: Jedem Creme-Topf liegt nach dem Zufallsprinzip eine von 12 Archetypen-Karten bei. Wer sofort wissen will, ob er eher Magier, Herrscher, Rebel oder Entdecker ist, kann auf der englischen Seite von Argentum Apothecary das Glücksrand drehen (>>>). Eine schöne Spielerei!
Zellen-Recycling
Autophagie ist ein Begriff, der immer öfter auftaucht im Kampf gegen das Aging unseres Körpers und damit auch der Haut. Das Wort setzt sich aus den griechischen Wörtern auto- (selbst) und phagein (essen) zusammen und bedeutet damit wörtlich „Selbstfressen". Diese Übersetzung trifft es auf den Punkt. Autophagie ist ein natürliches Recycling-Programm in Zellen, das fehlgefaltete Proteine bis hin zu ganzen Zellorganellen abbaut und verwertet.
Mit den Jahren erlahmt das Recycling, das Gleichgewicht zwischen der Produktion und dem Abbau von Eiweißen in den Zellen ist gestört. Zu viel molekularer Müll bleibt liegen. Das fördert nicht nur Krankheiten wie Diabetes oder Alzheimer, sondern auch vorzeitige Hautalterung. Um die Autophagie im Alter wieder zu aktivieren, werden mehrere Möglichkeiten diskutiert, beispielsweise intermittierendes Fasten (Intervalfasten). Denn eine Nahrungsabstinenz ab 14 Stunden startet den Vorgang der Autophagie.
Auch innovative Supplements wie Spermidin oder Resveratrol, Stoffe, die auch in bestimmten Nahrungsmitteln enthalten sind, sollen einen Effekt auf die Reinigung der Zellen ausüben. Allerdings ist bisher bei keinem der Mittel die Bioverfügbarkeit im menschlichen Organismus nachgewiesen. Das Phänomen der Autophagie wurde erstmals in den 1960er Jahren beschrieben. Damals waren es nur kleine Forschergruppen, die sich damit beschäftigten. Die entscheidenden Analysen über die zugrunde liegenden Mechanismen dieser körpereigenen Müllabfuhr lieferte der Japaner Yoshinori Osumi.
Für seine Grundlagenforschung wurde er 2016 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. Auch Kosmetika versuchen mit bestimmten Substanzen wie Sirtuine, ein multifunktionales Enzym, das als Methusalem-Gen bekannt wurde, die Langlebigkeit der Zellen zu verlängern. Die wissenschaftlich basierte Phytokosmetik-Brand Sisley Cosmetics ließ sich für die Vier-Wochen-Pflege „La Cure” von Osumis Erkenntnissen inspirieren. Das Konzentrat aus Pflanzenextrakten hat sich die Mitochondrien, die Energie-Kraftwerke der Zellen zum Ziel genommen. Darunter Gingko biloba, das schützend wirken soll, und Pfingstrosen-Extrakt zur Beseitigung geschädigter Mitochondrien. Auch hier scheiden sich viele Geister am Preis, 4 Phiolen mit je 10 ml kosten 895 Euro.
Aus der Gewebe-Forschung
Universitäts-Professor Augustinus Bader von der Universität Leipzig hat zwar (noch) keinen Preis aus Stockholm im Regal stehen, ist aber vielseitig ausgezeichnet. Der Biomediziner zählt zu den weltweit führenden Wissenschaftlern in den Bereichen Stammzellen und Biomedizin. In seiner bislang 30-jährigen beruflichen Laufbahn hat er über 200 Schlüsseltechnologien patentieren lassen und 180 Fachartikel verfasst. Sein Spezialgebiet: Tissue Engineering (Gewebezüchtung im Verbund mit Zellen). Damit ist die Wiederherstellung von unterschiedlichen Gewebetypen möglich, also Organregeneration statt Transplantation. Gerade nach schweren Verbrennungen ist das ein wichtiger Ansatz in der regenerativen Medizin.
Die Technologie von Professor Bader arbeitet mit körpereigenen Stammzellen und deren Aktivierung auf Zellebene. Darauf basierend entwickelte er auch „The Cream“, deren Herzstück der Triggerfaktorkomplex (TCF8) ist. Er setzt sich aus über 40 verschiedenen Substanzen zusammen wie Aminosäuren, hochwertigen Vitaminen und synthetisch gewonnenen Molekülen, um die hauteigenen Reparaturmechanismen zu unterstützen. Was mit einem Produkt begann, hat sich inzwischen zu einer kompletten Hautpflege-Linie für Gesicht und Körper ausgeweitet. Aber auch für die blauen Glasspender mit der kupferfarbenen Kappe muss man ganz schön tief in die Tasche greifen („The Cream“, 50ml, 225 Euro).
Fazit
Die Ansätze all dieser auf fundierter Wissenschaft basierten Pflege-Produkte klingen für mich sehr spannend. Und doch stellt sich mir die Frage: Die Hornschicht (Stratum corneum) der Haut ist bekanntermaßen eine der effizientesten Barrieren in der Biologie. Sie schützt vor äußeren invasiven und irritierenden Einflüssen und hält gleichzeitig den Wasserhaushalt für die lebensnotwendige Homöostase aufrecht. Ob irgendwelche Vehikel oder Wirkstoffe tatsächlich in der Lage sind diese entscheidende Hautschicht zu überwinden und zielsicher dort aktiv werden, wo sie wirklich von Nöten sind, dafür fehlen stichhaltige Beweise.
Und wenn es tatsächlich möglich wäre, würde es sich nicht mehr um ein Pflege-Produkt handeln, sondern um ein Arzneimittel, für das strenge Zulassungsregeln gelten. Allerdings muss man auch erwähnen, dass hoch wirksame Kosmetik nicht selten einen Weg vorbei findet an Zulassungsregeln. Sie also eigentlich eine Arznei sein müsste, aber als reines Pflegeprodukt durchgeht. Zum Beispiel werden einfach weniger hohe Dosierungen angegeben als tatsächlich drin sind. Wie auch immer, der Glaube versetzt Berge. Und in der Kosmetik gilt das ganz besonders. Der Placebo-Effekt in der Medizin liegt schließlich auch bei 20 Prozent.
Mehr von der Autorin lesen Sie hier jeden Freitag auf MODEPILOT.de (All ihre bisherigen Pro-Kolumnen gibt es hier >>>) und auf Margit Rüdigers Blog Culture & Cream (>>>)
Newsletter
Photo Credit: Catwalkpictures, Noble Panacea
Kommentare