Was macht eigentlich ein Fashion Director im Lockdown?
Modeschauen in Paris, Foto Shooting in L.A.? Von wegen. Was macht ein Fashion Director eigentlich im Lockdown? Das frage ich Theresa Pichler, Modechefin der deutschen InStyle, die weiterhin wunderschöne Produktionen für das Heft umsetzt. Außerdem hat sie eine nachvollziehbare Erklärung, warum es Fashion Weeks noch braucht.
Theresa Pichler im Interview
Theresa, was trägst Du gerade?
Meine reguläre Office-Wear, bedeutet: eine schwarze Bleistift Hose (Jil Sander), dazu einen schwarzen Blazer (The Frankie Shop), einen Feinstrick-Rolli (Anine Bing) und Loafer (Prada). Ich bin heute aber ausnahmeweise nicht im Home-Office sondern im Büro. Dennoch, man wird mich nie bei einem Zoom-Meeting in Hoodie oder Sweatpants sehen. Klar, auch dieser Look gehört zu meinem Kleiderschrank. Gerade seit der globalen Pandemie kommt man an Loungewear- oder Sport-Labels wie Sporty & Rich oder 7 days active nicht vorbei. Diesen Look bevorzuge ich allerdings auf dem Sofa nach der Arbeit.
Ich fand es schon immer sehr wichtig – egal ob Home Office oder nicht – sich jeden Tag fertig zu machen, als würde man zur Arbeit gehen. Das heißt für mich: Make-Up und Schmuck auflegen, Kleidung auswählen, bügeln. Das Selbstwert-Gefühl ist ein ganz anderes als bei einem aus dem Bett-auf-die-Couch-Look. Kleider machen nicht nur Leute, Kleidung gibt auch ein Gefühl mit und gerade in diesen Zeiten ist es ein Gefühl der Sicherheit und Normalität. Das darf man nicht unterschätzen.
Lockdown & Modewochen
Es ist Mitte Februar und Du bist zuhause in München. Wo wärst Du, wenn wir gerade nicht im Lockdown wären?
Wir haben momentan die mit Abstand wichtigste Zeit in der Modebranche. Von Anfang Februar bis Mitte März läuft der Fashion Week Marathon. Ich wäre jetzt also nach New York, London, Mailand und dann Paris gereist. Wir sind normalerweise fünf Wochen am Stück unterwegs, dazwischen jeweils nur ein paar wenige Tage zu Hause, um die Wäsche zu waschen. Jetzt wünschte ich mir natürlich, ich wäre müde vom Reisen. Aber das „Was wäre wenn“-Spiel liegt nicht in meiner Natur. Wir haben eine weltweite Pandemie und jeder Mensch erlebt Einschränkungen. Unsere sind da vergleichsweise von sehr privilegierter Natur. Das ist auszuhalten und ich bin mir sicher, die Fashion Weeks live zu erleben – das kommt wieder.
Was fehlt Dir an den Schauen am meisten?
Der Austausch mit Freunden und Kollegen. Man fühlt sich manchmal wie ein großer Wanderzirkus, der von Stadt zu Stadt zieht. Und das Erlebnis, wenn Kreativität in etwas sehr Reales umgewandelt wird. Die Fashion Weeks sind für mich der Ort, an dem Ideen und Visionen Wirklichkeit werden. Das kann in Form einer besonders schönen Kollektion sein, aber auch eines besonders kreativen Show-Settings, wie z.B. eine Rakete bei der Chanel Show. Und die Kreativität beginnt schon bei den Show-Einladungen, die mir eine Ahnung auf die Show geben. Viele sind so kreativ gestaltet, dass ich diese in Boxen aufbewahre oder als Deko Objekte verwende. Auch das Gefühl nach einer Show fehlt mir. Ich bin dann oft enorm für die nächsten Shootings inspiriert. Die Designer geben uns auch immer Gesprächsstoff – nicht nur ob die Kollektion gefallen hat – sondern auch wie wir sie deuten und auf die Gesellschaft projizieren. Sehr oft ist eine Kollektion mit ihrer Show ein Abbild der Gesellschaft oder sie macht aufmerksam auf aktuelle gesellschaftliche Situationen. Miuccia Prada ist beispielsweise eine wichtige Persönlichkeit, wenn es darum geht mit Mode mehr auszusagen als nur schöne Kleidung zu sein.
Hand aufs Herz: Braucht es noch die Fashion Weeks?
Braucht es noch Modeschauen?
Unbedingt! Nach dem anfänglichen Hype und der Erklärung einiger Modehäuser (wie Gucci und Saint Laurent), die Fashion Weeks seien veraltet, kosten enorm viel und gehören in ihrer ursprünglichen Form abgeschafft, kam die Branche schnell zu dem Schluss, dass eine einheitliche Fashion Week sehr wichtig ist. Mode ist ein Erlebnis und muss erlebt werden. Es ist ein Ort der Kreativität und des Austausches und es hängen auch wahnsinnig viele Jobs, Existenzen und Umsätze davon ab.
Wir fragen doch auch nicht, ob man die Oper, das Theater oder Filmproduktionen noch braucht.
Ein weiteres Argument gegen die Fashion Week war der CO2 Abdruck, den wir hinterlassen. Dieser wäre meiner Meinung nach aber wesentlich größer, wenn wir keine einheitlichen Termine hätten, sondern jeder Designer dann im Jahr zeigen würde, wann er es für richtig hält. Was übrigens auch überhaupt nicht mit dem Handel und Kaufgewohnheiten funktionieren würde. Die Fashion Week ist also enorm wichtig. Viele Designer sind auch in der Pandemie sehr kreativ. Es gab einige großartige digitale Show-Konzepte von z.B. Loewe mit „Show in a box“. Verschickt wurden Maler-Sets mit Tapezierpinsel, Kleber und Tapeten und man konnte sich die Show an die Wand projizieren. Auch Prada hatte bei den letzten Männerschauen einen so realen digitalen Showroom nachgebaut, dass man tatsächlich dachte, man wäre vor Ort. Die Fashion Week funktioniert digital auch, kann aber nicht die reale Welt ersetzen. Das Erlebnis ist und bleibt ein anderes, wenn man vor Ort ist.
Home Office
Wie oft gehst Du zur Zeit ins Büro?
Wir sind derzeit fast alle im Home-Office. Unser Verlag ist sehr bemüht um seine Mitarbeiter. Es gibt regelmäßige Konferenzen, die Möglichkeit sich stets auszutauschen. Es wurde auch eine eigene anonyme Corona-Hotline ins Leben gerufen, um die Möglichkeit des Gesprächs zu geben, sowie regelmäßige Informationen seitens der Geschäftsführung. Da ich als Modeleitung auch für die Organisation und das Styling der Mode-Shootings verantwortlich bin, bin ich meist in der Woche des Shootings im Office, um dort mein Styling vorzubereiten.
Wie viele Kollegen siehst Du dort?
Da beinahe alle im Home-Office sind, kaum jemanden. Und wenn ich jemanden sehe, dann natürlich nur mit Maske und Mindestabstand. Wir haben ein sehr klares Hygiene-Konzept.
Kleidest Du Dich zur Zeit anders als früher, wenn Du ins Büro gehst?
Nein. Kleidung ist für mich ein Spiegelbild meiner Selbst und wenn ich plötzlich in Jogginghosen auftauche – was ich übrigens in meinen 12 Jahren in der Modebranche nie getan habe – dann wäre ich nicht ich selbst. Es ist enorm wichtig das zu tragen, worin man sich wohl fühlt. Dann strahlt man das auch aus. Das kann von einem simplen T-Shirt und einer Mom-Jeans bis hin zu einem Jogginganzug oder Hosenanzug alles sein, solange man sich nicht verkleidet fühlt und es zu einem passt. Ich bin noch nie Trends hinterhergelaufen, sondern habe immer abgewogen, ob mir dieser steht und zu mir passt und wie ich mich darin fühle. Jogginghosen sind meiner Meinung nach nicht fürs Office gedacht, egal wie stylish die Umgebung sein mag.
Modeproduktionen
Wie setzt Du Deine Visionen der Sommermode 2021 fürs Heft jetzt um, so ganz ohne Fliegerei, schicken Locations und so?
Bereits vor der Pandemie fanden etwa die Hälfte unserer Produktionen im Studio statt. Die restlichen Strecken produziere ich normalerweise auf Locations, die ich mir passend zu meinem Thema aussuche. Dies fällt im Moment leider auf Grund der Reiserestriktionen weg, normalerweise wäre ich gerade in Miami oder Los Angeles und würde dort die Sommer-Kollektion fotografieren. Ich könnte aber auch nicht in Deutschland auf Location produzieren, da wir immer konträr zu den Saisonen arbeiten. Das bedeutet, wenn ich die Sommer-Kollektion shoote, ist bei uns Winter und umgekehrt. Ich kann natürlich nicht Sommerkleider im Schnee fotografieren. Beides geht eben gerade nicht. Daher produziere ich neben Modeproduktionen auch vermehrt Still-Life Produktionen (Schmuck + Accessoires) und weiche zu 100 Prozent auf das Studio aus, was – wie bereits Anfangs erwähnt – nichts Neues für mich ist. Jedoch braucht es bei Modeproduktionen schon immer mehr als nur einen schönen Look oder ein tolles Model, um eine Geschichte erzählen zu können.
Denn auch hier fehlt die schöne Location und der Sonnenuntergang. Daher kreiere ich mit Hilfe von Set-Designs oder zusätzlichen Elementen, wie z.B. Requisiten oder Tieren eine Atmosphäre und versuche meine Visionen real werden zu lassen. Für unsere Februar-Ausgabe habe ich eine Modestrecke zum Thema „Around the world“ produziert und wollte die Schönheit der Welt und die ethnischen Einflüsse so gut es geht darstellen, ohne vor Ort sein zu müssen. Dafür haben wir beim Filmverleih Requisiten ausgeliehen, Sets kreiert mit Windmaschinen und eben auch mit Tieren gearbeitet. Bei dieser speziellen Produktion hatten wir auch ganz besondere Gäste am Set, nämlich Kamele, natürlich inklusive Tierpfleger und artgerechter Haltung. Das ist uns sehr wichtig. Allein durch das Beisein dieser besonderen Tiere entsteht eine ganz eigene Atmosphäre am Set und es können großartige Bilder entstehen.
Wie schwierig ist es gerade, die richtige Mode oder das richtige Model zu bekommen und, woran liegt es dann?
Durch den Umstand, dass in Europa praktisch jedes Land ein Risikogebiet ist, sehr schwierig. Von den USA ganz zu schweigen. Hier gibt es ja nach wie vor ein Einreise- und Ausreiseverbot. Pakete bleiben im Zoll hängen und viele kleine Labels können aufgrund der gestiegenen Versandkosten gar nicht erst verschicken. Auch sind die meisten Models in der Corona-Pandemie natürlich in ihr Heimatland zurückgekehrt und arbeiten daher – wenn überhaupt – nur in ihrem eigenen Land. Innerhalb von Europa ist es etwas einfacher – mit negativem Testergebnis und Arbeitsbewilligung dürfen Models und Fotografen nach Deutschland reisen.
Allerdings bevorzuge ich gerade das gesamte Team aus Deutschland zu buchen. Wir haben in Deutschland sehr viele kreative Leute und auch Supermodels. Aufgrund von Corona sind diese zu Hause in Deutschland und nicht permanent gebucht und unterwegs. Das bedeutet, man kann auch da mal Glück haben und ein Model bekommen, welches sonst nie verfügbar gewesen wäre. Ebenso ist es mit Designerlooks. Der Kampf um eine weltweite Kollektion ist natürlich enorm. Da wir alle wesentlich weniger produzieren, sind auch da Designer plötzlich verfügbar, die man davor eventuell nicht bekommen hätte.
Wie verändert Corona die Mode?
Glaubst Du, dass Corona die Mode verändert?
Ich glaube, die Mode schöpft immer und aus jeder Situation Kraft, schafft etwas Neues und verändert sich permanent. Sie kann in gesellschaftlich guten Zeiten auf Missstände aufmerksam machen und in gesellschaftlich schwierigen Zeiten Mut und Hoffnung geben. Die Macht und Kraft der Mode wird von der Gesellschaft oft unterschätzt. Dabei berührt sie jeden Menschen und ist sehr wichtig, egal ob ich High Street oder Couture einkaufe. Mode – also das, was man trägt und wie man sich dabei fühlt – ist enorm wichtig.
Ich glaube aber, der Handel verändert sich gerade extrem und das nicht nur zum Positiven. Dieser Umstand wird uns noch lange beschäftigen. Geht es dem Handel schlecht, geht es der Wirtschaft schlecht. Onlinestores können nicht vollständig auffangen, was durch die Lockdowns verloren ging. Die Umsatzeinbußen sind enorm. Geschäfte müssen und werden schließen, das bedeutet natürlich auch, dass Marken verschwinden werden und das wiederrum hat Einfluss auf die Mode und die Gesellschaft, aber auch auf uns Magazine. Wie genau werden wir in den nächsten Jahren sehen.
Was werden wir nach dem Lockdown am liebsten tragen?
Ich glaube, der Wunsch nach Up-Dressing, also schöner Anlasskleidung wird sich steigern. Die Menschen sind es bald leid nur noch Jogginghosen, Hoodies und Sneaker zu tragen. Man möchte sich wieder chic anziehen und ausgehen. Ich glaube nach dem Sweatpants-Hoch das einigen Marken Millionenumsätze gebracht hat, folgt ein Evening-Wear-Hoch. Wenn man im Moment über die Gründung eines Modelabels nachdenkt: Jetzt wäre der Zeitpunkt für Slipdresses, Strappy Heels und Smoking-Hosenanzüge – Darin sollte man jetzt investieren.
Mehr Looks & Produktionen von Theresa findet Ihr auf ihrem Instagram Account @theresa.pichler
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Photo Credit: Around the world: Fotografen Petrovsky & Ramona; Accessoires mit Papagei und Zitrone: Fotograf Wolf-Dieter Böttcher; Model auf Couch und Models mit Lamm: Fotograf Klaas Jan Kliphius; Model mit großem Strohhut: Fotograf Christian Oita
Kommentare
Hallo, die Website gefällt mir richtig gut. Vor allem das Thema Was macht eigentlich ein Fashion Director im Lockdown, finde ich wirklich großartig!
Danke dafür und liebe Grüße.