Interview zur Zukunft des Leders

Wie nachhaltig ist Leder und wie nachhaltig kann es in Zukunft sein? Dazu mache ich mir Gedanken, lese und informiere mich über das, was möglich sein kann. Zum Gesamtbild zählt natürlich unbedingt auch: Die Meinung eines Mannes, der tagtäglich mit Leder arbeitet, wohlgemerkt mit dem besten Leder und den fortschrittlichsten Methoden, nachhaltig zu produzieren.
Uwe Holubeck Weinheimer Leder Modepilot
Uwe Holubeck, Geschäftsführer von Weinheimer Leder
Uwe Holubeck, der Geschäftsführer und Eigentümer von Weinheimer Leder, stellt Leder für Handtaschen italienischer Luxuslabels her. Das Unternehmen liegt in Weinheim, Baden-Württemberg, und arbeitet mit der Erfahrung von über 170 Jahren in der Lederverarbeitung. Seine Häute bezieht Weinheimer Leder ausschließlich aus dem alpenländischen Raum.

Fragen an Uwe Holubeck über die Zukunft von Leder

Modepilot: Wie sicher ist die Verfügbarkeit von Leder in Zukunft?
Uwe Holubeck: Da Leder ein reines Beiprodukt der Fleischproduktion ist und Fleisch schon immer zur Ernährung des Menschen gehört, ist davon auszugehen, dass die Rohware – also die Häute – anfallen und verfügbar bleiben.
Häute von Weinheimer Leder Modepilot
Häute von Weinheimer Leder
MP: Ganz aktuell sei es nicht einfach, Zulieferer aus der Ukraine und Russland zu ersetzen, heißt es in einem kürzlich erschienenen Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (>>>). Könnte sich das auf Dauer auch auf Ihr Unternehmen auswirken, wenn die italienischen Produzenten, die immerhin die Volumen-stärksten Europas und ebenfalls Belieferer der Luxushäuser sind, mehr aus den Alpenländern beziehen möchten?
UH: Wir beziehen seit jeher unser Leder aus dem alpenländischen Raum. Zum einen, weil es nachhaltiger ist, da die Lieferwege zur Gerberei überschaubar sind und zum anderen, weil wir uns hier auf die artgerechte Haltung der Rinder verlassen können. Denn das Tierwohl steht bei uns an erster Stelle. Generell gilt, wenn es dem Rind zu Lebzeiten sehr gut geht, dann ist auch die Qualität der Häute sehr gut. Neben der langjährigen und äußert vertrauensvollen Beziehungen bewegen wir uns beim Einkauf für unsere hochwertigen Kunden in einem Hochpreissegment und erwarten daher mittel- und langfristig keine Verschiebungen.
Ledermuster bei Weinheimer Leder Modepilot
Ledermuster bei Weinheimer Leder

Mehr Vegetarier, weniger Leder?

MP: Lassen Sie uns einmal herum spinnen. Denn manche glauben, dass in Zukunft weniger Fleisch konsumiert wird; dass mehr Menschen vegetarisch oder vegan leben als das heute der Fall ist. Wie würde sich das auf Ihre Fellbeschaffung auswirken?
UH: Natürlich besteht die Möglichkeit, dass weniger Fleisch konsumiert wird, das finde ich sogar begrüßenswert. Denn Massentierhaltung ist auf keinen Fall etwas, das zu unterstützen gilt. Es kann durchaus sein, dass sich der Konsum verringern und dadurch noch mehr hin zu qualitativ hochwertigem Fleisch gehen wird. Weiterhin ist in dieser Betrachtung nicht nur die Fleischproduktion zu erwähnen, sondern auch die Milchwirtschaft, die durch Nachzucht von Rindern die kontinuierliche Milchversorgung sicherstellt. Denn ohne Kalb, keine Milch. Somit wird sich für uns nichts verändern, denn die Rohware, die wir beziehen, stammt nur von artgerecht gehaltenen Rindern. Der Respekt vor den Tieren war und wird bei uns immer höchste Prämisse sein und bleiben.

Testen Sie Ananasleder und ähnliches?

MP: Testen Sie Ananas-, Kaktusleder und ähnliches? Ich verstehe, dass echtes Leder (erst einmal) schöner, langlebiger und strapazierfähiger als seine Alternativen bleibt. Aber welches Alternativprodukt hätte am ehesten das Zeug dazu, echtem Leder Konkurrenz zu machen?
UH: Natürlich informieren wir uns über Innovationen im Bereich der Lederersatzstoffe. Allerdings ist, wie Sie schon eingangs in Ihrer Frage beschrieben haben, nichts so haptisch angenehm, langlebig, strapazierfähig und somit so nachhaltig wie echtes Leder. Man darf zudem auf keinen Fall vergessen, dass die anfallenden Häute, wenn sie nicht zu Leder gegerbt werden, anderweitig aufwändig entsorgt werden müssen und das tut der Umwelt definitiv keinen Gefallen.
Hier wird das Boxcalf Leder von Hand gebügelt Modepilot
Hier wird das Boxcalf Leder von Hand gebügelt

Nachhaltige Färbemethoden

MP: Mal aus der Sicht eines echten Fachmannes: Auf welche Innovationen des Ledermarkts können wir uns freuen?
UH: Es wird ständig an neuen Gerbverfahren und Innovationen geforscht. Auch hier steht die Entwicklung nicht still, was die Verbesserung der Lederherstellung angeht. Die Tendenz geht eindeutig immer weiter zur Nachhaltigkeit und Umweltfreundlichkeit. Eine der großen Innovationen der letzten Jahre war das Gerben der Häute mit Olivenblättern. Dieses Verfahren ermöglicht, dass die Blätter nach der Ernte nicht verbrannt und somit große Mengen an CO2 freigesetzt werden, sondern dass sie einem weiteren Zweck zugeführt werden. In diese Richtung kommen in den nächsten Jahren sicher weitere großartige Entdeckungen auf uns zu.
Leder von Weinheimer Leder Modepilot
Leder von Weinheimer Leder
MP: Worauf hoffen Ihre Kunden?
UH: Auch unsere Kunden sind sich Ihrer Verantwortung nachhaltig zu produzieren bewusst. Weiterhin sind unsere Kunden an für den Endkunden schnell identifizierbaren und bekannten Qualitätssiegeln interessiert. Wir haben uns bereits vor Jahren für einen gemeinsamen Weg mit dem Label OEKO-TEX entschieden.

CO2-Fußabdruck

MP: Welche Möglichkeiten gibt es, Leder noch nachhaltiger zu produzieren?
UH: Durch den Einsatz von nachhaltigen Energiequellen, wie Solar- und Windenergie, ist es uns möglich unseren CO2-Fußabdruck weiter zu reduzieren. In diesem Zusammenhang installieren wir aktuell eine Solaranlage auf der Fläche von zwei Fußballfeldern, um uns unabhängiger von fossilen Brennstoffen zu machen. Weiterhin lassen sich große Mengen an Energie und Ressourcen im Bereich der Wasserwirtschaft durch weiterentwickelte Recyclingsysteme einsparen. Neben dem energetischen Einsparungspotential, finden heute upgecycelte Chemikalien im Bereich der Gerbung aus Biomassen vermehrt Einsatz.
Die Gerberei von Weinheimer Leder
Die Gerberei von Weinheimer Leder

Leder − nicht immer ein Beiprodukt

MP: Nicht jeder verwendet ausschließlich Leder, das als Nebenprodukt der Lebensmittelindustrie abfällt. Wie können wir Verbraucher wissen, welches Label worauf achtet?
UH: Daran arbeiten wir im Augenblick mit unseren Kunden in eigens dafür installierten Arbeitsgruppen mit dem Ziel NGOs, Gütesiegel und Vorproduzenten an einen Tisch zu bekommen, um maximale Transparenz für den Endverbraucher in Zukunft darzustellen. Wir als Hersteller von hochwertigen Kalbledern können den Nachweis eindeutig erbringen. Bei der Verarbeitung von exotischen Tierhäuten, wie zum Beispiel Krokodil und Schlange, muss die Nutzung auf Grund ihrer Verwendung tiefgreifender beleuchtet werden.

Lab-grown leather

MP: Was halten Sie von im Labor gezüchteten Leder? Noch ist es ja nicht konkurrenzfähig, weil viel zu teuer in der Entwicklung und Produktion. Aber wäre das ein mögliches Zukunftsszenario auch für ihre Produktion? Sie könnten sich dann Farben und Prägungen selbst züchten.
UH: Sicherlich ist dies eine spannende technische Herausforderung und natürlich auch beeindruckend, was Wissenschaft erzielen kann. Es bleibt zu erkunden, welche physikalischen Echtheiten auf Grund, der nicht natürlichen Faservernetzung in unterschiedlichen Einsatzbereichen erzielt werden können. Ein praktisches Beispiel: Eine durch eine Verletzung entstandene Vernarbung weist niemals mehr die ursprüngliche Struktur und Festigkeit auf – die Funktion dieses Prozesses in einem Reagenzglas abzubilden muss abgewartet werden. Sie merken sicherlich, dass die natürlich zur Verfügung stehenden Ressourcen für uns interessant bleiben.

Wünsche & Visionen

MP: Welche Wünsche und Visionen haben Sie für die Zukunft des Leders?
UH: Für die Zukunft wünsche ich mir, dass die Aufklärungsarbeit, was die Lederherstellung angeht, weiter voranschreitet und dass die falschen Mythen den Weg aus den Köpfen der Menschen finden. In diesem Zuge fände ich außerdem mehr als begrüßenswert, dass die Produktion mit Häuten aus artgerechter Haltung weiter zunimmt. Was der Konsument verstehen muss, ist, dass Leder nicht gleich Leder ist. Auch hier gibt es massive Qualitätsunterschiede, die sich natürlich auch im Preis sichtbar machen.
Qualitätssicherung bei Weinheimer Leder Modepilot
Qualitätssicherung bei Weinheimer Leder
Aber auch das ist Nachhaltigkeit und Umweltbewusstsein: auf die qualitativ hochwertigen Lederprodukte zurückzugreifen, anstatt Massen an Billigware zu konsumieren. Denn hier kann man meistens davon ausgehen, dass das Tier, das am Anfang steht, kein sonderlich gutes Leben hatte, im Gegensatz zu Tieren aus artgerechter Haltung. Wir unterstützen Initiativen zur Aufklärung über die Lederherstellung wie zum Beispiel Leather Naturally (www.leathernaturally.org).
MP: Ihr persönliches Lieblingsprodukt aus Leder?
UH: Mein Lieblingsprodukt aus Leder sind rahmengenähte Lederschuhe – im täglichen Gebrauch. Komfort besonders in diesem Bereich steigert nicht nur die Konzentration, sondern auch das allgemeine Wohlbefinden.
Photo Credit: Weinheimer Leder
Modepilot ist Deutschlands erster Modeblog. Mit seiner Gründung in 2007 war und ist er Vorreiter der unabhängigen Mode-Berichterstattung. Noch heute wird die Seite leidenschaftlich von Mitgründerin Kathrin Bierling geführt. Sie ist eine ausgebildete und erfahrene Journalistin, die zunächst bei der Financial Times lernte und arbeitete und dann einige Jahre bei der WirtschaftsWoche beschäftigt war, bevor sie die Seiten Harpersbazaar.de, Elle.de und InStyle.de verantwortete. An Modepilot liebt sie, dass sie die Seite immer wieder neu erfinden muss, um am Puls der Zeit zu bleiben. Worin sie und ihre Autoren sich stets treu bleiben: Den Leser ernst nehmen, nicht sich selbst.

Kommentare

  • Raphael sagt:

    Danke für dieses Interview über die Zukunft des Leders. Nachhaltigkeit ist ein wichtiges Thema. Macht weiter so und schreibt über interessante Modethemen.