Neues vom Beauty Pro: Spermidin
Die neue Jungbrunnen-Formel der Altersforscher
Seit Jahrtausenden suchen Menschen nach Lösungen, wie man das Altern rückgängig machen kann. Schon im 5. Jahrhundert beschrieb der griechische Historiker Herodot einen Jungbrunnen. Lucas Cranach der Ältere setzte die Idee 1546 in einem Gemälde um. Jeder kennt das Bild mit den älteren Frauen (keine Männer!), die sich in einem Bad verjüngen. Inzwischen studieren die Altersforscher mehrere Substanzen, die ein Jungbrunnen-Potential besitzen und den menschlichen Alterungsprozess zumindest verlangsamen. Der britische Biologe Andrew Steele glaubt, dass es möglich ist, in den nächsten zehn Jahren ein Medikament zu entwickeln, das das Altern, das er als Krankheit betrachtet, „heilen“ kann.
Spermidin ist eine der vielversprechenden Substanzen, die lebensverlängernd wirken könnten. Es ist ein Protein. Die Bezeichnung klingt doch wie?… Richtig! Spermidin ist ein biogenes Polyamin, das als Botenstoff in jeder Körperzelle vorkommt, in besonders hoher Konzentration im Sperma. Es wird aber unter anderem auch von bestimmten Darmbakterien produziert. Keine Angst, obwohl bereits hautstraffende Cremes und Masken aus dem menschlichem Ejakulat auf dem Markt sind, sind spermidinhaltige Nahrungsergänzungsmittel aus einem Weizenkeimextrakt hergestellt. Auch bestimmte Lebensmittel wie Keimgemüse, Erbsen, Vollkornprodukte, Äpfel, Salat, Pilze, Nüsse, Kartoffeln oder gereifter Käse sind reich an Spermidin.
Lebensverlängernde Effekte
An Mäusen und Fliegen wurden unter Spermidingaben im Futter bereits vielfach lebensverlängernde und gesundheitsfördernde Prozesse beobachtet. „Die Spermidin-Zufuhr hat dafür gesorgt, dass die Tiere weniger Nieren- und Leberschäden und eine bessere leistungssteigernde Glukoseversorgung im Gehirn entwickelten“, bestätigt Prof. Evgeni Ponimaskin vom Institut für Neurophysiologie der Medizinischen Hochschule Hannover. Die Telomere, also die Schutzkappen an den Enden der Chromosomen, die bei jeder Zellteilung kürzer werden, waren bei den Spermidin-behandelten Mäusen fast so lang wie bei jungen Tieren. Und da die Zellen von Mäusen ähnlich altern wie menschliche Zellen, vermuten die Forscher, dass Spermidin auch für uns positive Effekte haben könnte.
Einem internationalen Forscherteam von der Uni Innsbruck ist es erstmals gelungen, den Anti-Aging-Effekt von Spermidin auch beim Menschen nachzuweisen − durch spermidinreiche Nahrung. Wer also Lebensmittel, die reich an Spermidin sind, zu sich nimmt, verlängert damit möglicherweise seine gesunde Lebensspanne. An 829 Proband:innen wurde untersucht, inwieweit die über die Nahrung aufgenommene Menge an Spermidin dafür verantwortlich ist. Die Testpersonen standen 20 Jahre lang unter Beobachtung.
Das Ergebnis:
Die Teilnehmer:innen, die über die Nahrung täglich mindestens 80 µmol (etwa 12mg) Spermidin zu sich nahmen, wiesen im Beobachtungszeitraum nicht nur ein deutlich geringeres Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen auf, sondern auch weniger Todesfälle durch Herzkreislauf-Erkrankungen. „Der Überlebensvorteil von spermidinreicher im Vergleich zu spermidinarmer Ernährung (<60 µmol pro Tag) beträgt rund fünf Jahre“, erklärt Dr. Raimund Pechlaner, einer der beteiligten Wissenschaftler von der Uni Innsbruck. Auf den täglichen Speiseplan umgelegt, würde das bedeuten, dass man beispielsweise mit zwei Scheiben Vollkornbrot, zwei Portionen Salat und einem Apfel pro Tag den Richtwert von 12 Milligramm Spermidin erreicht.
Müllabfuhr in den Zellen
Aber worauf begründet sich die lebensverlängernde Wirkung von Spermidin? In erster Linie ist es die Fähigkeit, die Autophagie (altgriechisch für „sich selbst verspeisen“) anzuregen. Erforscht hat das kleine Naturwunder der japanische Zellbiologe Yoshinori Ohsumi, der für seine Arbeiten 2016 den Nobelpreis für Medizin und Physiologie bekam.
Unter Autophagie versteht man den Selbstreinigungsprozess der Zellen. Im Alter verliert diese körpereigene Müllabfuhr an Effektivität. In Folge können fehlerhafte oder nicht mehr benötigte Zellbestandteile nicht abgebaut bzw. verwertet werden. Bei 100 Billionen Zellen im menschlichen Körper, wovon täglich 50 Millionen absterben, kommt ganz schön etwas zusammen. Auch wenn gleichzeitig in jeder Sekunde fast genauso viele Zellen neu gebildet werden, baut ein erwachsener Mensch ständig Zellen ab.
Hilft sogar zur Gewichtskontrolle
Funktioniert die Autophagie nur unzureichend, ersticken die Zellen sozusagen in ihrem eigenen Müll. Es kommt zu schädlichen Ablagerungen in die Zellen, die bestimmte Krankheiten fördern können, unter anderem Diabetes, Demenz, Tumore und Arteriosklerose. In der Aktivierung der Autophagie durch das Polyamin Spermidin sehen die Mediziner ebenfalls eine Möglichkeit zur Gewichtskontrolle und zur Therapie von Stoffwechselerkrankungen. Bei Mäusen hat sich das Gewicht nach vierwöchiger Spermidingabe um 24 Prozent reduziert.
Der Zusammenhang zwischen ungesunder Ernährung mit zu viel Fett und Zucker und einer Fehlregulation des Polyaminstoffwechsels ist durch Studien bewiesen: Eine gestörte Autophagie beeinträchtigt die Freisetzung von Insulin. Das wiederum spielt eine elementare Rolle im Stoffwechsel. Wird dem Organismus dagegen vermehrt Spermidin zugeführt, erhält die Zelle das Signal den Selbstreinigungsprozess zu starten, was sie vor Ablagerungen und damit vor vorzeitiger Alterung schützt.
Auch Fasten hilft der Autophagie
Ein weiterer effektiver Weg, die Autophagie anzuregen, ist längerfristiges Fasten. Man darf mindestens 12 Stunden lang nichts essen, besser noch 16 Stunden. Dies ist in etwa die Zeitspanne, die zur Aktivierung der Zellerneuerung benötigt wird. Aus diesem Grunde empfehlen viele Altersforscher das sogenannte Intervallfasten 16:8 (16 Stunden Fasten, 8 Stunden Essen).
All diese Maßnahmen benötigen im Alltag eine gehörige Portion Disziplin. Wäre es da nicht viel einfacher, eine Tablette, eine Kapsel oder ein Pülverchen von den vielen Spermidin-Nahrungsergänzungsmitteln zu schlucken, die mittlerweile auf dem Markt sind? Theoretisch stimmt das. Doch die Praxis sieht anders aus. Bei Mäusen, Hefezellen, Würmern und Fliegen scheint Spermidin als lebensverlängerndes Elixir zu funktionieren. Doch keine Tierversuche können verläßlich beantworten, ob das Ergebnis auf den Menschen zu übersetzen ist.
Studien am Menschen
Zu sehr unterscheidet sich unser Organismus von Würmern und Fliegen. Herausfinden ließe sich das nur in Studien mit menschlichen Testpersonen. Untersucht wurde zwar die Sicherheit und Verträglichkeit von Spermidin als Nahrungsergänzungsmittel mit 1,2 Milligramm Spermidin pro Tag über drei Monate an 30 Proband:innen. Dabei traten keine gesundheitlichen Problemen auf, was aber nichts über eine langfristige, höher dosierte Einnahme aussagt. Und wenn Spermidin „verjüngend“ wirken soll, wäre eine Dauereinnahme notwendig.
Inwieweit spermidinhaltige Nahrungsergänzungsmittel die gleichen Anforderungen erfüllen bzw. wie hoch die tatsächliche Bioverfügbarkeit ist, ist umstritten. Die Datenlage ist dünn, obwohl es aus den Longevity Labs+ in Denver Colorado, die 2022 SpermidinLife mit 2mg und 3mg gelauncht haben, heißt: „Eine erste klinische Studie am Menschen bestätigt diesen Zusammenhang zwischen Spermidingehalt im Blut und kognitiver Leistungsfähigkeit in zwei Schritten“, informiert Nico Teuschler, Head of Research bei Longevity Labs+. Zwei veröffentlichte Studien an Menschen konnten die positiven Effekte von Spermidin im Gehirn bestätigen und einen positiven Effekt von Spermidin bei Parkinson aufzeigen.“
Dünne Datenlage bei Nahrungsergänzungsmitteln
Studien mit einer großen Anzahl an Testpersonen fehlen jedoch. Ein wichtiger Faktor bei Spermidin ist wie bei allen anderen Nahrungsmitteln die sogenannte Bioverfügbarkeit. Darunter versteht man, wie viel von der eingenommenen Substanz überhaupt im Blut ankommt. Der Weg dahin ist lang. Denn vorher baut unser Körper eine größere Menge der Substanz ab, scheidet sie aus oder verdaut sie. Soll Spermidin tatsächlich Effekte in einer Zelle erzielen, muss die Konzentration hoch genug sein. Doch bisherige Untersuchungen am Menschen zeigen, dass oral eingenommenes Spermidin zu einem Grossteil abgebaut wird, bevor es ins Blut gelangt.
Einen schlagkräftigen Beweis für Spermidin als Nahrungsergänzungsmittel würde eine randomisiert-kontrollierte Studie bringen. Das bedeutet, dass ein großes Kollektiv an Testpersonen nach dem Zufallsprinzip (randomisiert) einer von zwei Gruppen zugeteilt. Die erste Gruppe nimmt über einen sehr langen Zeitraum Spermidin-Kapseln ein, während die zweite als Kontrollgruppe fungiert. Sie bekommt Placebo-Kapseln ohne den Wirkstoff. Nach vielen Jahren wird erhoben, wie viele der Testpersonen nach welcher Zeit und woran verstorben sind. Der Beweis gilt als erbracht, wenn die Spermidin-Gruppe deutlich länger lebt und gesünder älter wird. Doch bisher hat niemand eine solche Studie durchgeführt.
Potenzieller Biomarker für präklinische Alzheimer-Demenz
Dennoch laufen Forschungen und Untersuchungen zum Polyamin Spermidin in all seinen Facetten auf Hochtouren. Erst kürzlich, am 2. November 2022, wurde in dem Magazin der Alzheimer Association „Alzheimer's & Dementia“ eine Studie von einem internationalen Forscherteam um Professorin Agnes Flöel von der Universitätsmedizin Greifswald veröffentlicht. Die Seniorautorin erklärt: „Unsere Studie zeigt, dass Spermidin-Blutspiegel nicht die positiven Auswirkungen auf die Gesundheit widerspiegeln, die in Tiermodellen und Humanstudien bei einer höheren Spermidin-Aufnahme mit der Nahrung beobachtet wurden. Außerdem zeigen die Ergebnisse, dass der Spermidin-Blutspiegel als potenzieller Biomarker für präklinische Alzheimer-Demenz verwendet werden könnte. Dies ist wichtig, da blutbasierte Biomarker für Alzheimer-Demenz weniger kostspielig und für die Patienten körperlich weniger belastend sind im Vergleich zur Liquordiagnostik, bei der aus dem Rückenmarkskanal Nervenwasser entnommen wird.“
Die Inhaltsstoffe sorgfältig checken
Auf alle Fälle sollte man Spermidin als „Jungbrunnen“ im Auge behalten und beim Kauf eines Spermidin-Produkts das Etikett genau lesen. Spermidinhaltige Nahrungsergänzungsmittel enthalten in der Regel Weizenkeimextrakte, bei denen das natürliche vorkommende Spermidin noch angereichert wurde. Angeboten werden aber auch pulverisierte Weizenkeime, die kaum mehr Spermidin enthalten als Weizenkeime, die man im Reformhaus kauft. Deshalb immer auf die angegebene Spermidin-Konzentration achten. Weisen Spermidin-Präparate nur eine Tagesdosis von 0,5mg aus, kann man die auch mit 2,5 Gramm Cheddar-Käse erreichen. Die erlaubte Höchstmenge für Nahrungsergänzungsmittel liegt bei 6mg Spermidin pro Tag. Bei vielen sind Vitamine und Spurenelemente wie Vitamin C und E oder Zink zugesetzt. Gesundheitsbezogene Werbeaussagen beziehen sich dann oft darauf und haben nichts mit dem enthaltenen Spermidin zu tun. Deshalb Augen auf, wenn man ein Spermidin-Produkt ausprobieren möchte.
Doch wie es für ein Konzert mehrere Musiker braucht, kann auch eine einzelne Substanz den Alterungsprozess, der sehr vielschichtig ist, nicht aufhalten bzw. verlangsamen. Es gibt deshalb immer mehrere Mitspieler, die auf unterschiedlichen Ebenen ansetzen. Dazu gehört NMN (Nicotinamidmononucleotid), ein Vitamin B3 Derivat, das im Körper an etlichen Zellprozessen beteiligt ist und auch positive Effekt auf die Haut hat. Davon mehr in meiner nächsten Kolumne.
Mehr von unserer Autorin Margit Rüdiger finden Sie hier unter ihren bisherigen Kolumnen >>> und mehr über Beauty und Reisen auch auf ihrem Blog Culture & Cream (>>>). Fragen, Wünsche, Feedback? Sie erreichen unsere Kolumnistin unter beautypro[@]modepilot.de
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