Die reinste Augenwischerei

Fünfzig Euro gab ich für eine angebliche Shampoo-Alternative aus, die nach fünfmal Haarwaschen schon wieder leer war. Wie kam es dazu? Also die 50 Euro gab ich aus, weil mir Journalisten davon vorschwärmten – nicht nur in ihren Heften, sondern auch persönlich. Ich sah es als meine Blogger-Pflicht, unsere Leser ebenfalls darüber zu informieren. Wallpaper sprach übrigens von einer Revolution und nannte das Zeug „einen wahren Helden” >>> Ich stellte das zu Grunde legende Prinzip des Produkts hier vor und gab nach den ersten Anwendungen einen Zwischenbericht ab >>>
Nach der zweiten Haarwäsche pausierte ich, um meine Haare wieder zu entfetten, zu befreien; um wieder Freude an einer geputzten Kopfhaut zu haben und an Seifenschaum! Auch darüber schrieb ich >>> New Wash verwendete ich anschließend nur noch hin- und wieder. Insgesamt waren es fünf Mal, bis die Flasche dann heute leer war. Das macht:
Zehn Euro pro Haarwäsche
In meinem ersten Testbericht schrieb ich, dass die Flasche besonders schön sei, weil minimalistisch und grafisch ansprechend. Ich hatte die Idee, sie später mit einem günstigeren und vielleicht ebenso guten Produkt aufzufüllen. Heute schmiss ich sie in den Mülleimer.
Mal abgesehen davon, dass ich diesen verheißungsvollen, am Ende aber doch enttäuschenden Schriftzug nicht mehr sehen möchte, ist die Pumpmenge auch Quatsch. Sie gleicht der einer hoch ergiebigen Augencreme – also völlig ungeeignet für ein wenig ergiebiges Shampoo. Man muss pumpen, was das Zeug hält. So erging es auch einer Freundin und Kollegin, die das Shampoo gerade für ein Frauenmagazin getestet hat. Wenn meine Flasche also fehlerhaft gewesen sein sollte, so war es ihre auch.
Sobald sich der Inhalt dem Ende neigt, was schnell passieren kann, kommt nichts mehr raus. Dann muss man die Flasche konsequent gerade halten, was durch das viele Pumpen kräfte- und nervenzehrend ist. Schließlich musste ich die Flasche öffnen, um an den Rest zu kommen – mit cremigen/öligen Händen nicht so leicht. Um den Behälter aufdrehen zu können, braucht es ein Handtuch. Kurz: Einen nassen Badezimmerboden später, lautet mein Urteil: Bitte nicht kaufen!
Gar nicht nur wegen des nassen Bodens und des rausgeschmissenen Geldes, sondern auch, weil die Haare schwerer und fettiger werden, wenn man sie zwei-, dreimal hintereinander damit wäscht – egal, wie langwierig man sie ausspült. (Mehr dazu in meiner ersten, ausführlichen Rezension >>> )
Das (zunächst geniale) Konzept von New Wash: Es handelt sich um ein Produkt, das bisherige Produkte und Anwendungen überflüssig machen soll. „Disruptive” nennt sich so etwas – ein überstrapaziertes Zauberwort in der Start-up-Welt, das immer noch seine Wirkung hat. Investoren stellen die Frage nach der Disruption noch bevor der erste Flat White bestellt wird. Dann träumen alle von einer Zukunft, die z.B. ohne Spülungen und Haarmasken auskommt. Was zunächst nur mit diesem einen Produkt möglich sein würde.
Folgende Zielgruppe ist am leichtesten zu überzeugen: Beauty-Redakteure, die zu viele Haarprodukte herumstehen haben und verwenden (verklebte Kopfhaut), und sich nach einer Art Befreiung sehnen. Außerdem Verbraucher, die 50 Euro für ein Shampoo ausgeben können, also ebenso zum übersättigten Teil der Bevölkerung zählen. Sie alle probieren, bewusster zu leben. Aktuell überlegen sie, sich nächstes Jahr nichts mehr bei Zara zu kaufen.
Uns jagte man dann wochenlang mit gesponserten Bannern auf Facebook hinterher, die zu vermeintlich seriösen Reviews führten. So behaupteten z.B. die Schreiberinnen von forbes.com oder nymag.com, dass ihr langes, teilweise sogar gebleichtes Haar, seit „New Wash" ganz ohne Spülung und Maske auskäme und weniger häufig gewaschen werde müsse. Dieses Wunder wollte ich glauben und griff danach. Wie so viele.
Heute klickte ich mal auf einen der Autorennamen. Man sieht dann andere Artikel, die unter ihrem Namen erschienen sind. „Ike Barinholtz Led Me to an Instant Coffee That Tastes Better Than Starbucks" lautet die Headline eines anderen. Wie bitte, was? Ich habe mich von einer Autorin beeinflussen lassen, die Pulverkaffee hochjubelt, in dem sie ihn über die braune Brühe von Starbucks hievt?!
Photo Credit: Modepilot
Modepilot ist Deutschlands erster Modeblog. Mit seiner Gründung in 2007 war und ist er Vorreiter der unabhängigen Mode-Berichterstattung. Noch heute wird die Seite leidenschaftlich von Mitgründerin Kathrin Bierling geführt. Sie ist eine ausgebildete und erfahrene Journalistin, die zunächst bei der Financial Times lernte und arbeitete und dann einige Jahre bei der WirtschaftsWoche beschäftigt war, bevor sie die Seiten Harpersbazaar.de, Elle.de und InStyle.de verantwortete. An Modepilot liebt sie, dass sie die Seite immer wieder neu erfinden muss, um am Puls der Zeit zu bleiben. Worin sie und ihre Autoren sich stets treu bleiben: Den Leser ernst nehmen, nicht sich selbst.

Kommentare

  • Esra sagt:

    hahah sehr gut!!

    Starbucks ist echt völlig unverständlich überhyped...

    lg

    Esra


    http://nachgesternistvormorgen.de/
  • katha sagt:

    Ich finde es gut von dir, dass du auch trotz Zwischenberichts eine Review über deine Review schreibst. Wir alle sind nicht frei von Hypes und manches Produkt stellt sich auch nicht sofort als Fehlkauf heraus, egal ob Beauty oder Mode. Ich sage nur "WHMDDG?"! 🙂
    • Kathrin Bierling sagt:

      Haha, Danke, liebe katha! Das trifft's.
  • Frank D. sagt:

    Ich kann den kompletten Verriss des Produktes nicht nachvollziehen. Meine Erfahrungen mit New Wash sind wirklich richtig gut. EUR 50,- ist teuer - keine Frage - aber das Produkt hält bei mir schon 6 Wochen und es ist noch ca. 2-3 Wochen Luft. And sie Wäsche muss man(n) sich gewöhnen aber Kopfhautreizungen etc. sind verschwunden und die Haare sind sauber, fühlen sich aber besser an als nach Shampoo. Für mich eine klare Empfehlung.
  • silvia sagt:

    ich finde New Wash richtig gut, meine Erwartungen wurden nach einer Eingewöhnungsphase noch übertroffen... endlich nur noch ein Produkt fürs Haar, ich verwende es sparsam und muss nur mehr einmal die Woche waschen... einfach genial!